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Herbert Distel, Grosser Tropf, 1968
Polyester, 440 x 140 x 140 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung aus Privatbesitz
Copyright: ProLitteris, Zürich

Unübersehbar steht die Plastik „Grosser Tropf“ hinter dem Aargauer Kunsthaus im Rathauspark in Aarau. Die Plastik von Herbert Distel (*1942) zieht die Blicke nicht nur wegen ihrer Länge von 4,4 Metern von Weitem auf sich. Die klare, stereometrische Form besteht aus einem Kegel in Kombination mit einer Halbkugel und ist in geneigtem Winkel auf der grünen Wiese positioniert. Die markante Verschiebung aus der vertikalen Achse erzeugt eine Spannung, die durch die signalrot glänzende Oberfläche potenziert wird. Ohne Sockel, der das prekäre Gleichgewicht der Plastik ausgleichen könnte, steht das Werk direkt im Gras.
„Grosser Tropf“ von 1968 zählt zu Distels Frühwerk. Der in Bern geborene Künstler besucht anfangs der 1960er-Jahre die Kunstgewerbeschule in Biel sowie die Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris. Die Schaffensphase ab 1964 nach seiner Rückkehr in die Schweiz ist geprägt von der Auseinandersetzung mit der Skulptur und seinem Interesse für Geometrie und Mathematik. Zeitgleich beginnt er, mit dem damals neuen Kunstwerkstoff Polyester zu experimentieren. Das vielseitige Material erlaubt es ihm, Grossformate mit hoher Beständigkeit zu schaffen und diese in jeglichen Schattierungen einzufärben. Letzteres lässt, gemäss Distel, eine unmittelbare Relation zwischen Farbe und Volumen entstehen. Sind seine Werke anfänglich noch in Weiss gehalten, setzt er ab 1965 gezielt Farbe als plastisch gestaltendes Element ein.
In diesen Jahren avanciert Distel zu einem führenden Vertreter der lebendigen Berner Kunstszene im Umfeld der Kunsthalle und ihrem Leiter Harald Szeemann (1933–2005). Ab 1967 gehört der Tropfen, wie auch das Ei, zu seinem bevorzugten künstlerischen Formenvokabular. Einerseits sind beide axialsymmetrische, abstrakte Kunstformen, andererseits verweisen sie auf die Natur, wie es der Werktitel offenbart. „Grosser Tropf“ schafft somit Bezüge zu Distels frühem Interesse an konkret-konstruktivistischen und formimmanenten Fragestellungen. Jedoch bricht die stattliche Grösse der Plastik, ihre rot glänzende Oberfläche und die visuelle Anlehnung an ein „Stehaufmännchen“ heiter mit der tradierten Selbstreferenzialität konkreter Kunstwerke, und es lassen sich Verbindungen zu damals aktuellen Strömungen wie der Pop Art ziehen.
Der „Grosse Tropf“ steht dank einer privaten Schenkung seit 2000 als Solitär im Aarauer Rathauspark. Distel hat in den 1960er-Jahren mehrere Ausführungen des Werks geschaffen. Seit 1969 zählt ein Ensemble aus sieben Kegelplastiken in unterschiedlichen Orangetönen auf dem Campus Brugg-Windisch zu den wichtigen Kunst-am-Bau-Werken des Aargaus. Ursprünglich sah der Künstler vor, die mit Blei und Polyesterharz gefüllten Plastiken beweglich zu gestalten, was aufgrund unzulänglicher Materialeigenschaften nicht realisierbar war, und so sind Distels „Tropfen“ auch heute unverrückbar im Boden verankert.

Katrin Weilenmann

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