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Albrecht Schnider, Ohne Titel, 1997
Oil on canvas, 237.5 x 168 cm, Gemälde
Aargauer Kunsthaus Aarau

Als Albrecht Schnider (*1958) 1998 in einer Einzelausstellung in Solothurn erstmals ungegenständliche Werke zeigt, ist die Überraschung des Publikums gross. Bekannt geworden ist der Innerschweizer Künstler nämlich mit figürlichen Bildern. Mensch und Landschaft bilden die Hauptthemen seines frühen Schaffens, und die Bildvorlagen entstammen seinem persönlichen Umfeld. In Porträts und Figurendarstellungen bringt er sich selbst, seine Frau und weitere Familienmitglieder auf Leinwand; in kleinformatigen Landschaftsbildern hält er das Umfeld des väterlichen Bauernbetriebs auf einer Alp im Entlebuch fest. Die Malerei der neuen Werkgruppe hingegen, an der Schnider zwischen 1996 und 2000 arbeitet, erinnert mit ihren bizarren Stummel- und Wurstformen an immens vergrösserte Telefonkritzeleien. In der Sammlung des Aargauer Kunsthauses befinden sich aus dieser Schaffensphase zwei titellose Werke aus den Jahren 1997 und 1999.

„Man sollte nicht den Fehler machen, Albrecht Schnider für einen abstrakten Maler zu halten. Nur weil er jetzt Bilder malt, die abstrakt zu sein scheinen.“ Der Kommentar des Publizisten Florian Illies bringt uns auf die richtige Fährte, wie die röhrenartigen Strukturen auf den beiden grossformatigen Bildern zu lesen sind. In der Arbeit „Ohne Titel“ von 1997 ziehen sie sich in zwei Farben, aubergine sowie blaugrau, über den weissen Grund. An den Rändern fransen sie aus. Weisshöhungen schaffen Volumen, was ihnen die charakteristische Gestalt verleiht. Eine blaugraue Röhrenform mäandert fast über die ganze Bildfläche von der oberen linken zur unteren rechten Ecke; andere dieser schlängelnden Gesten sind kürzer, ändern unversehens die Richtung oder enden abrupt. Man mag bildhafte Assoziationen haben, beispielsweise die eines rennenden Strichmännchens im oberen Bilddrittel. Genauso rasch, wie diese aufscheinen, verschwinden sie aber auch wieder. Omnipräsent hingegen ist die weisse Spur, die sich mittig über die schlingernden Formen zieht und gegen den Rand in das Dunkel verläuft. Sie trägt zur unterkühlten Erscheinung des Bildes bei, die ähnlich wie die technisch perfekte Ausführung im Gegensatz steht zu den freien, intuitiv anmutenden Bildformen. Diese entstehen jedoch entgegen unserer Erwartung nicht spontan und unmittelbar auf dem Bildträger, sondern haben ihre Vorgeschichte. Was wir sehen, ist die naturalistische Wiedergabe einer zeichnerischen Geste, die stark schematisiert und mit Farben versehen ins Grossformat übertragen wird. Wie alle Arbeiten dieser Werkphase geht das Gemälde aus einer Zeichnung hervor. Diese entstehen bei Schnider in grosser Zahl, Tag für Tag, im Atelier, zu Hause, auf Reisen. Aus der Masse dieser rasch mit Pinsel zu Papier gebrachten Blätter bestimmt der Künstler einzelne, aus denen er Malereien ableitet, und zwar mit penibelster Sorgfalt, jede noch so kleine Unregelmässigkeit berücksichtigend. Schnider behandelt die Linien und Pinselstriche wie konkrete Gegenstände, die er in hypernaturalistischer Manier in einem anderen Massstab nachbildet. Resultat ist demnach eine Malerei, die zwar abstrakt aussieht, zugleich aber einen extremen Realismus pflegt. Umgekehrt abstrahieren die grossen Gemälde die Grundeigenschaften der Arbeiten auf Papier. Entstehen Letztere spontan, zwanglos und aus der möglichst absichtslosen Bewegung der Hand, wirken dieselben Gesten im Grossformat plötzlich verlangsamt, künstlich und entindividualisiert.

Yasmin Afschar

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