Öl auf Sperrholz, 92.5 x 72 cm
In der Schweizer Kunstlandschaft des 20. Jahrhunderts ist Karl Ballmer (1891–1958) eine Ausnahmeerscheinung; eine autonome Figur, die kaum Verbindungen zur hiesigen Kunstszene pflegt und sich auch stilistisch vom Schaffen seiner Landsleute absetzt. Ballmers künstlerische Heimat ist in Hamburg zu suchen, wo der gebürtige Aarauer ab 1922 für 16 Jahre lebt und wo ein bedeutender Teil seines Werks entsteht. Nach einigen Jahren, die Ballmer theoretischen und publizistischen Arbeiten und dem Studium der Anthroposophie widmet, tritt er gegen Ende des Jahrzehnts vermehrt als Maler in Erscheinung. Seine Werke finden im Umfeld der Hamburger Avantgarde rasch Anerkennung. Er tritt der lokalen Sezessionsbewegung bei und wird zu den wichtigen Ausstellungen neuer Kunst eingeladen. Heute befindet sich ein Grossteil des künstlerischen Nachlasses von Ballmer im Aargauer Kunsthaus, wo 1960, 1991 und 2016 die umfassendsten Retrospektiven des Künstlers stattfinden.
Aus der künstlerisch produktiven Zeit in Hamburg stammt auch das Gemälde „Halbfigur (Selbstbildnis)“. Es reiht sich ein in eine Serie von Selbstbildnissen, die einerseits unter dem Aspekt von Ballmers anthroposophisch geprägter Weltanschauung interpretiert werden können, andererseits aber auch aufschlussreich sind für die malerischen Entwicklungen in seinem Werk. In diesem Selbstporträt mit Hut setzt sich die Figur aus klar gegliederten Elementen zusammen. Die Reduzierung zeugt von einer zunehmenden Vereinfachung der Form, die Ballmer zu jener Zeit stark beschäftigt. Die zurückhaltende Farbgebung trägt ebenfalls zum schemenhaften Eindruck der Darstellung bei, wären da nicht die Augen: rot-grüne Farbflächen, die sich signalartig vom Rest der Komposition absetzen. Zum Sehen taugen die komplementärfarbenen Felder wenig. Eher funktionieren sie als Fenster, welche das Innere, „Seelische“ mit der Aussenwelt verbinden. Der Blick in die Augenpartie der Figur ist somit gleichzeitig ein Ausblick – auf einen Horizont vielleicht, einen tiefroten Himmel über weiter Landschaft. In seinen Selbstbildnissen entwickelt Ballmer mit solchen Strategien einen Archetypus seines Gesichts, der symbolhaft zur Chiffre für das Ich wird.
Online gestellt: 2018