Barytabzüge, je 40 x 50 cm
Mit seinem in jeder Hinsicht in Grenzbereiche vordringenden Werk ist Hans Danuser (*1953) einer der wegweisenden Fotokünstler seiner Generation. Sein berufliches Rüstzeug erhält er als Assistent eines Werbefotografen von 1971 bis 1974 in Zürich. Bereits in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre verlagert er jedoch den Fokus auf die Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst und vertieft im Rahmen von Forschungsprojekten an der ETH Zürich sein Wissen über die fotochemischen Grundlagen der Fotografie. Bis heute ist diese labornahe Praxis von Bedeutung für den strikt analog arbeitenden Künstler, etwa wenn er die angebliche Farbtreue des konfektionierten Farbfilms untersucht oder trotz historisch gewordener Materie in aufwendigen Verfahren neue Emulsionen entwickelt.
Als Ausdruck dieser analytischen Haltung ziehen sich Motive und ästhetische Modi am Limit der Lesbarkeit quer durch Danusers Werk. Entgegen ihrer vordergründig verunklärenden Wirkung stehen sie für das positivistische Interesse an den Dingen und laden in ihrer Reduktion zum genauen Hinsehen ein. Daneben dienen starkes Korn, tiefes Dunkel, gleissende Helle oder Makroansichten immer wieder als Metaphern für ethisch Ambivalentes, schwer Fassbares und nur unzulänglich Bekanntes. Das präzise, die anfänglich oft hermetische Erscheinung der Bildinhalte überwindende Sehen wandelt sich dabei zu einem macht- und kontrollkritischen Blick.
Dies zeigt sich bereits mit aller Brisanz beim Langzeitprojekt „IN VIVO“ (1980–1989), mit dem Danuser bekannt wird. Nebst dem gleichnamigen Buch, das 93 Aufnahmen umfasst, entsteht eine identisch zusammengestellte Museumsversion, mit der der Künstler 1989 seine Soloschau im Aargauer Kunsthaus bespielt. In sieben Bildreihen, deren Obertitel auf den Wissenschaftskontext und den Versuch am lebenden Organismus verweist, hält Danuser fest, was er an Orten antrifft, die der Öffentlichkeit trotz ihrer allgemeinen Relevanz meist nicht zugänglich sind. So gibt etwa die erste Bildstrecke Einblick in den Kühlturm eines Atomkraftwerks, in die Reaktorforschung und in die Zwischenlagerung radioaktiven Abfalls. Die zweite Serie führt in eine Goldraffinerie und in Goldbarrendepots; die weiteren zeigen unter anderem Laboratorien der Spitzenmedizin, Gentechnik, Pathologie und Pharmaindustrie. Die Kraft von Danusers Aufnahmen liegt dabei einerseits darin, dass sie abbilden, was Sache ist – ohne Pathos und frei von Tabus. Andererseits sind sie mit Ausnahme einer in Los Alamos, New Mexico, realisierten Reihe zur Laserforschung nicht verortet, was künstlerisch in den erwähnten Verunklärungsstrategien sowie in knapp gehaltenen Bildunterschriften seine Fortsetzung findet. Dadurch wahren die Bilder eine exemplarische Offenheit, die den Betrachter angesichts der erschlossenen Themenfelder auf sich selbst zurückwirft und ihm Raum für seine eigene Positionsfindung gibt.
Mit „IN VIVO“ hat Danuser Schweizer Fotogeschichte geschrieben und gleich selbst darauf aufgebaut, wie der Folgeband „Frost“ (2001) mit den Serien „Frozen Embryo“, „Strangled Body“ und „Erosion“ eindringlich belegt. Seine umsichtige Art, sich gesellschaftlich delikaten Themen in einer Mischung aus Investigation und Ästhetik zu nähern, hat aber auch jüngere Fotografen nachhaltig geprägt. Namentlich ein Projekt wie Yann Mingards (*1973) zukunftsskeptische Sondierung „Deposit“ (2009–2014) ist ohne ihn kaum zu denken.
Astrid Näff