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Caroline Bachmann, 58 av. J.-C., 2020
Oil on canvas, 80 x 800 x 2.2 cm, Gemälde
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Nicolas Party

«Gallia est omnis divisa in partes tres…». Gallien sei dreigeteilt, und in einem der Teile sei der Frieden bedroht. So beginnt der römische Feldherr Gaius Julius Caesar seine detaillierte, heute in etlichen Punkten allerdings angezweifelte Chronik des von ihm selber losgetretenen Gallischen Kriegs (58–51/50 v. Chr.). Gleich im ersten der acht Bücher, aus denen «De bello gallico» besteht, kommt er auf die Helvetier zu sprechen, einen Ende des 2. Jh. v. Chr. von Norden unter dem Druck der Germanen ins heutige Schweizer Mittelland eingewanderten keltischen Stamm. Von ihnen, so Caesar, gehe die Bedrohung aus, denn sie hätten beschlossen, westwärts nach Gallien weiterzuziehen. Um keinen Gedanken an Umkehr aufkommen zu lassen, hätten sie zudem entschieden, all ihre festen Siedlungen, zwölf an der Zahl, und sämtliche Weiler niederzubrennen. Bei Genf und später auf der einzigen Ausweichroute quer über den Jura habe er, Caesar, den Tross aber gestoppt und so die Helvetier nach der Schlacht bei Bibracte in ihr altes Gebiet zurückgedrängt.

Caesars Darlegung der Vorgänge als gewaltiger Exodus, allen voran die Behauptung zu den absichtlich in Brand gesetzten Oppida, hat sich in archäologischen Grabungen nie belegen lassen. Genau diese Fiktion, dieses noch immer erstaunlich lebendige alternative Geschichtsbild zu Caesars Vorteil, greift die Lausanner Künstlerin Caroline Bachmann (*1963) in ihrem Bilderfries «58 av. J. C.» auf. Aus grosser Entfernung, wie eine «dea ex machina», richtet sie den Blick auf das Land der Helvetier, wo überall, topografisch plausibel, an den historisch bezeugten Stätten die Feuer lodern. Höhenwinde treiben die Rauchsäulen nach Westen, während die Sonne gerade glutrot hinter der Jurakette versinkt. Das abendliche Schauspiel, das sich in einem der Mittellandseen auch noch spiegelt, ist schon mehrfach als Fingerzeig auf Bibracte gedeutet worden. Es lässt aber auch die Raumschichten klarer hervortreten, allen voran den von Bachmann stets als beengend empfundene Jura. Entlang diesem Riegel, der zugleich, so die Künstlerin, auch seit jeher dazu einlädt, ihn zu überwinden, leiten atmosphärische Farbverläufe und zusehends dunstiger werdende Horizontpartien den Blick an die Bildränder. Zwei Flussläufe – Rhein und Rhone – begrenzen dort die Szenerie respektive öffnen sie zur Ferne hin.

Mit dem Sonnenuntergang hat die Künstlerin dem Bild eine ephemere, ganz dem Moment verschriebene Note gegeben. Dies erzeugt sowohl gegenüber der weit zurückliegenden Begebenheit als auch verglichen mit deren Dauer eine widersprüchliche Zeitlichkeit. In der Abendstimmung liegt aber auch der Schlüssel, um die Brände zur Geltung zu bringen. Aufgespannt zwischen Tag und Nacht, entfaltet das Panorama in dieser Hinsicht quasi die Wirkung eines Dioramas. Auch losgelöst von Bachmanns einprägsamer synthetischer Ästhetik darf dies als stimmig gelten, denn Dioramen sind schon immer die Hauptkulissen gewesen für ein zeitlich fernes Geschehen.

Bachmann, 2022 mit dem prestigeträchtigen Prix Meret Oppenheim bedacht, stellt sich als konzeptuelle Künstlerin aber auch noch andere Fragen. Eine davon betrifft die Einschreibung in die Kunstgeschichte und ihre Gattungen, hier das traditionell Männern vorbehaltene Paradefach Historienmalerei. «58 av. J. C.» liest sich in dieser Hinsicht als freche, stilistisch nachgerade naive, vielleicht auch etwas symbolistisch-vallottoneske Replik auf das Hochformat «Les Romains passant sous le joug» (1858) von Charles Gleyre (1806–1874). In diesem Auftragswerk zuhanden des Musée cantonal des Beaux-Arts in Lausanne imaginiert der ausgerechnet in den Pariser Salons zu Ruhm gelangte Waadtländer eine der schmachvollen Niederlagen, welche die Römer 107 v. Chr. erlitten haben, als sich keltische und germanische Stämme schon einmal für Beutezüge auf ihren Boden vorwagten. Figurenreich und höchst dramatisch tut er dies mit einer Darstellung des von Caesar als «sub iugum mittere» überlieferten Unterjochungsrituals. Berge im Hintergrund – diesmal die Alpen – und ein See bilden gemeinsame Nenner. Davon abgesehen ist Bachmanns menschenleeres Panorama in jeder erdenklichen Weise das pure Gegenteil des Gleyre. Dazu zählt auch, dass der Fries zwar nahtlos durchläuft, faktisch aber zehnteilig ist. Ein gemalter Rahmen unterstreicht die Kohärenz. Zugleich schafft er Distanz und gibt so auf Anhieb zu verstehen, dass es beim Bildinhalt um etwas Entrücktes, Idealisiertes oder nur ausschnitthaft respektive subjektiv Erfasstes geht. Entliehen ist das Rahmenmotiv dem Schaffen von Louis Michel Eilshemius (1864–1941), einem wiederentdeckten amerikanischen Maler, auf den die Künstlerin im Zuge ihrer Beschäftigung mit transzendentalistischen Denkern wie Ralph Waldo Emerson (1803–1882) und Henry David Thoreau (1817–1862) sowie dank der kunsthistorischen Forschung ihres Partners Stefan Banz (1961–2021) zum Œuvre von Marcel Duchamp (1887–1968) gestossen ist.

Als titelgebendes Werk gleich zweier Einzelausstellungen (Kunsthaus Glarus, 2020; Galerie Gregor Staiger, Zürich, 2021) ist «58 av. J. C.» eines der bisherigen Hauptwerke von Caroline Bachmann. Dank der Schenkung ihres Lausanner Künstlerkollegen Nicolas Party (*1980) ist Bachmann mit dieser kapitalen Arbeit zur Schweizer Geschichte, aber auch zur Geschichte der Malerei, erstmals auch im Aargauer Kunsthaus präsent.

Astrid Näff, 2024

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