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Öl auf Leinwand, 295 x 107.5 x 4.2 cm
1896 fand in Genf die zweite Schweizerische Landesausstellung statt. Neben Bereichen wie Landwirtschaft und Industrie wurde auch den bildenden Künsten eine prominente Stellung zugedacht. Der Palais des Beaux-Arts stand direkt beim Haupteingang des Ausstellungsgeländes und umfasste mehr als 5000 Exponate. Darüber hinaus war die Aussenfassade mit Dekorationen verschiedener Künstler geschmückt, u. a. schufen Ferdinand Hodler (1853–1918) und Daniel Ihly (1854–1910) Darstellungen, die gemäss einem zuvor ausgelobten Wettbewerb „Suisses ou Suissesses portant le costume des différents cantons“ wiedergeben sollten und die in losem Wechsel an den Pfeilern der Aussenfassade angebracht wurden. Die beiden Künstler setzten den Auftrag relativ frei um. Hodlers 26 Figuren sind ausschliesslich männlich und zeigen mehrheitlich Krieger in Kostümen des 16. Jahrhunderts, die keine Rückschlüsse auf die Kantonszugehörigkeit zulassen. Sie stehen in verschiedensten Posen meist auf kleinen Felsplateaus oder, wie im Gemälde des Aargauer Kunsthauses, auf einer Wiese. Ihrem Zweck entsprechend sind sie auf Fernwirkung hin angelegt: Der Körper zeichnet sich vor hellem Grund ab, überlebensgross und in Untersicht wiedergegeben. Wie Hodlers Korrespondenz zu entnehmen ist, widmete er sich im Herbst 1895 nach verschiedenen Vorstudien der Arbeit an den Dekorationen und malte die Figuren in rascher Folge. Dies zeigt auch die reduzierte Ausarbeitung der Darstellungen. Im hier besprochenen Werk sind grosse Bereiche in wenigen Farbschichten summarisch ausgeführt bei stellenweise äusserst wirkungsvoll eingesetzter freier Binnenzeichnung. Die Gräser des Wiesengrunds sind z. T. mit dem Pinselstiel in die nasse Farbe eingeritzt, ein Stilmittel, das sich in Hodlers Arbeiten der 1890er-Jahre wiederholt findet. Als Modelle für seine Dekorationen dienten Freunde und Bekannte. Die vorliegende Figur soll, wie zwei weitere, die Züge von Emile Mathys-Maire tragen, der Hodler 1881 auf dessen erster Reise nach München begleitet hatte. Der Krieger, der mit der Rechten eine Hellebarde hält und seine Linke in die Seite stützt, erhielt, wohl aufgrund des dunklen Haars, den Beinamen „Der Schwarze“.
Die Figur des wehrhaften Eidgenossen geht auf das Werk „Der zornige Krieger“ von 1883/84 zurück, in dem Hodler einen Krieger nach geschlagener Schlacht eindrücklich in Szene setzte und das er zusammen mit der zweiten Fassung des „Schwingerumzugs“ (1887) als Exponat an der Landesausstellung von 1896 präsentierte. Bei beiden Gemälden handelt es sich, wie bei den Dekorationen, um patriotische Motive im Grossformat, die dem Wunsch nach nationaler Identität und Einheit jener Jahre entsprachen und mit denen der Künstler die Aufmerksamkeit der Betrachter zu gewinnen hoffte. Seine Exponate und Dekorationen fanden in der Presse denn auch wiederholt und an prominenter Stelle Erwähnung. Mit seinem Auftritt an der von über zwei Millionen Personen besuchten Landesausstellung erlangte Hodler eine breitere nationale Bekanntheit und die lang ersehnte offizielle Anerkennung stellte sich ein: Die Stadt Genf erwarb noch im gleichen Jahr den „Zornigen Krieger“, die Eidgenossenschaft den „Schwingerumzug“. Seine Dekorationen aber, die an einer Auktion des Mobiliars und anderer Ausstattungsgegenstände nach Ende der Landesausstellung angeboten wurden, fanden kaum Käufer. Viele kamen erst später wieder auf den Markt und die meisten befinden sich heute, wie das hier vorgestellte Werk, in öffentlichem Besitz.
Regula Bolleter