Lackfarben auf Stoff, 100 x 80 x 19 cm
Ausgangspunkt von Urs Freis (*1958) Arbeiten sind einfache, alltägliche Gegenstände, die an Funktionalität eingebüsst haben und ein Schattendasein als ausrangierte Ware oder gar Abfall führen. Dieses Material – beispielsweise alte Beutel, Plastikeimer, Karton, Stoff- und Holzreste oder Altpapierbündel – sammelt Frei in seinem Atelier. Gestapelt, zusammengeschnürt, vernäht, ausgestopft und fast konsequent mit Farbe versehen, verarbeitet er es zu sperrigen, kruden Objekten, die als körperhafte Gebilde an der Wand hängen, von der Decke baumeln oder sich auf dem Boden ausbreiten. Die Farben legen sich wie Häute über die Objekte und lenken von deren dinghaftem Charakter ab. Insbesondere ab den 1980er-Jahren ist Freis Palette bunt, ja knallig, wobei Farbe und Werkstoff gleichwertig wirken. Plastik und Malerei sind sich ebenbürtig. Auf ein weiteres zentrales Element in Freis Kunst verweist die bricolagenartige Entstehung der Arbeiten: Was im Atelier intuitiv und spontan zu räumlichen Assemblagen zusammengeführt wird, blickt einer ungewissen Zukunft entgegen. Nicht selten wird bereits Produziertes wieder auseinandergenommen und neu zusammengesetzt; ein Werk geht im anderen auf, mal als Ganzes, mal in Teilen und unabhängig davon, ob dazwischen die Präsentation im Rahmen einer Ausstellung lag. Als Stätte dauernden Kombinierens und Transformierens ist das Atelier Dreh- und Angelpunkt von Freis Schaffen.
Das titellose Objekt in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses ist Teil einer Werkgruppe, die Frei für eine Ausstellung in der Zürcher Galerie Walcheturm im Jahr 1990 schuf. Die Serie aus Stoffsäcken stellt die erste kompakte Werkgruppe in Freis Schaffen dar. Stoff, Schnur und Lackfarbe sind die wiederkehrenden Komponenten, die Frei in wechselnden Konstellationen zu Wandobjekten verarbeitet. Das Prinzip ist simpel: Ausgestopfte Säcke bilden ein kissenartiges Volumen, das durch die umgebundenen Schnüre in Farbfelder und -formen unterteilt ist. Beim vorliegenden Werk handelt es sich um einen länglichen Beutel, der zu einer Mondsichelform drapiert ist. Es wechseln sich, jeweils durch die Schnürung begrenzt, grüne und weisse Segmente ab. Die trichterförmige Grundform des Stoffes offenbart sich im spitz zulaufenden Abschluss oben, wohingegen das unterste, grösste Element behelfsmässig zugeknöpft eine rechteckige Füllform aufweist. Der Erscheinung nach könnte man Freis Arbeiten in die Tradition der Prozesskunst stellen, die sich in den 1960er-Jahren ausgehend von Künstlern wie Robert Morris (*1931) etablierte. Im Gegensatz zu dieser internationalen Kunstströmung, die den Entstehungsprozess des Werks in den Vordergrund stellt, scheint bei Frei aber weder die Geste des Einpackens zentral noch die des Schnürens. Massgebend ist für ihn die Tatsache, dass er durch das Ausstopfen und Binden mit einfachsten Mitteln Volumen und Lineaturen schaffen kann und damit Objekte, die sowohl als Malerei wie auch als Plastik Bestand haben.
Yasmin Afschar