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Verena Loewensberg, Ohne Titel, 1947
Öl auf Leinwand, 48 x 48 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Nachlass Verena Loewensberg, Henriette Coray Loewensberg, Zürich
Fotocredit: Jörg Müller

Verena Loewensberg (1912–1986) gilt als wichtigste Schweizer Vertreterin jener geometrisch-konstruktiven Malerei, die 1930 in Paris mit Theo van Doesburgs (1883–1931) Zeitungsmanifest „Art Concret“ und der gleichnamigen kurzlebigen Künstlergruppe ihren Anfang nimmt. Angeregt von Georges Vantongerloo (1886–1965) und bestärkt durch Max Bill (1908–1994), der van Doesburgs programmatischen Ansatz 1936 aufgreift und weiterdenkt, findet auch sie um die Mitte der 1930er-Jahre zur Abstraktion. Sie wird Teil jenes Umfelds, das als Zürcher Konkrete rezipiert wird und das nach anfänglicher Ablehnung als unschweizerisch im veränderten Politklima der Nachkriegszeit quasi zur offiziellen Landeskunst aufsteigt. Anders als ihre wortführenden männlichen Kollegen sucht Verena Loewensberg aber weniger stark die Öffentlichkeit und bekundet auch an den gesellschaftlichen Implikationen der konkreten Kunst nur bedingt Interesse. Ihr Zugang zu einer methodischen Bildgestaltung ist vielmehr rein künstlerisch motiviert und zeichnet sich dadurch aus, dass er logische Sequenzen, deren Systematik sich nicht immer auf Anhieb mitteilt, mit einer rhythmischen Qualität und koloristischem Feinsinn vereint. Dies verleiht ihrer Malerei eine freie Note, die den konstruktiven Grundton von Beginn weg elegant überspielt und immer wieder zu vereinnahmenden Farblösungen führt – gipfelnd in der prototypisch schon 1963 formulierten, 1983 bis 1985 zur Blüte gebrachten letzten grossen Werkserie.

Diese doppelte Ausrichtung auf die Struktur und eine oftmals davon unabhängige Farbsetzung ist bereits bei dem vorliegenden, im Juni 1994 an einer Auktion der Galerie Burkard in Luzern ersteigerten Bild aus dem Jahr 1947 ersichtlich. Im handschriftlichen Werkverzeichnis der Künstlerin trägt es die Nummer 80 und folgt in der Entstehung somit unmittelbar auf das schwarz-weisse Bild, das 1993 in die Sammlung gelangt ist („Ohne Titel“, Inv.-Nr. 4563). Die zeitliche Nähe der Werke und die in beiden Fällen vorkommenden schwarzen Linien, die ein lückenhaftes Gitter suggerieren, verleiten zur Annahme, es handle sich um verwandte Lösungen. Tatsächlich aber weist nur das spätere der beiden orthogonalen Systeme eine Gitterstruktur auf, während das frühere auf der Überlagerung zweier Progressionen beruht.

Angeordnet sind die schwarzen Elemente hier so, dass sie drei verschiedene asymmetrische Kreuze bilden. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass es sich um sechs Geraden gleicher Länge handelt, von denen indes nur zwei – die zwischen den beiden gelben Feldern ansetzende Horizontale und ihr Pendant in der vertikalen Mittelachse des Bildes – voll ausgeführt sind. Die übrigen sind so platziert, dass sie immer zwei Schnittstellen aufweisen und die „Kreuze“ derart als Rasterfragmente kenntlich machen. Wo der verlängerte Arm eines der anderen „Kreuze“ sie schneiden würde, sind sie unterbrochen. Zwischen ihnen verteilen sich Farbquadrate, die dem Primär- und Sekundärspektrum entstammen. Dank der Beimischung von Weiss haben sie allerdings nichts Dogmatisches an sich. Sie verbreiten im Gegenteil eine leichte, anmutige Wirkung, die einen feinen Kontrapunkt zur Strenge des Rasters setzt.

Astrid Näff

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