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Rolf Winnewisser, Grey Echo (dreizehntes Bildtuch), 1987 - 1988
Acryl und Kreide auf Baumwolle, 186 x 260 cm, Gemälde
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung der LANDIS & GYR STIFTUNG

Rolf Winnewisser (*1949) ist im Aargauer Kunsthaus – nicht zuletzt dank der vielen Schenkungen anlässlich der 2008 gezeigten Retrospektive „Split Horizon“ – schon seit Längerem stark vertreten. Zu diesem stattlichen Bestand sind 2015 sechs weitere Zugänge aus dem Vorbesitz der Landis & Gyr Stiftung hinzugekommen, die damit gleich doppelt als Förderin auftritt, hat sie dem Künstler doch bereits 1987 – 1988 ein Werkjahr in London ermöglicht. Bei ebendiesem Aufenthalt sind die vier grossen Bildtücher „Zersplitterung en revers“, „Grey Echo“, „Sudden Scull“ und „Entschlüsselter Bogen“ entstanden, welche die Glanzpunkte der Schenkung bilden. Sie sind Teil einer Reihe von 23 Werken identischen Formats, die der Künstler aus England zurückbringt und die er 1990 im Kunstmuseum Luzern in seiner Ausstellung „See a blob split a blank spot“ erstmals zeigt. Dazu erscheint der Begleitband „23 Bildtücher“, der zu jedem Werk mehrere Zustandsfotos und eine «Randnotiz» des Künstlers enthält: ein entgegen der bescheidenen Bezeichnung überaus reflektiertes Protokoll von Winnewissers Gedanken und malerischen Erwägungen vor, während und nach der Arbeit am Bild.

Aus dem Miteinander von Bild und Text wird deutlich, wie Winnewisser den Malakt seit jeher als Vorgang begreift, bei dem das allzu Ersichtliche und Monothematische analog zur unvollständigen Löschung älterer Inhalte eines Palimpsests hinter das Vielschichtige zurückzutreten hat. Analog auch zu Derridas Vorstellung der Spur resultiert daraus ein sich kontinuierlich selbst neu hervorbringendes, nichtmimetisches Bild, das, obschon es sich figürlichen und teilweise auch textlichen und somit im Grunde narrativen Momenten nicht verschliesst, ganz im Sinn der Postmoderne auf die Aufhebung der eindimensionalen Erzählung zielt. Diesen Zustand der Mehrdeutigkeit schafft Winnewisser bei den Londoner Bildtüchern primär durch Übermalung, wobei er jeden Überarbeitungsschritt als rein künstlerische Reaktion auf die bereits gesetzten Farben und Formen beschreibt. Figürliches wie der Pferdekopf und der Schiffsbug bei „Grey Echo“ entspringt der Erinnerung oder spontan Assoziiertem und wird zumeist sogleich wieder minimiert. Hier hat es Winnewisser mit dem Hinweis auf das oft nur temporäre Bestehen von Street Art im Allgemeinen und jener in Dakar im Besonderen ausnahmsweise beibehalten und es überdies, was die Schiffsform angeht, mit einem vom Besuch des britischen Containerhafens Felixtowe inspirierten Schriftzug unterstrichen. Auch dies dient jedoch nicht der Konstruktion von Narration, sondern folgt dem Bestreben, den grauen Grundklang des Bildes zu benennen und einen Kontrapunkt zum gelben Feld oben links zu setzen, was den Blick zugleich verstärkt auf die instabile Anlage des Bildraums lenkt. In den «Randnotizen» findet sich zudem mit „Grey Delta“ eine Namensvariante: Indem sie ein zweites Beispiel aus dem phonetischen Alphabet ins Spiel bringt, signalisiert sie ein Stück weit Austauschbarkeit und verweist so ebenfalls auf das offene Potenzial von Bild und Text – genau wie das allererste Bildtuch, das ein vollständiges, aber ungeordnetes Alphabet enthält.

Astrid Näff

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