Öl auf Leinwand, 49 x 55 cm
Im Jahr 1990 widmet das Aargauer Kunsthaus der Künstlerin Gertrud Debrunner (1902–2000) eine längst überfällige institutionelle Einzelausstellung. Die spätere Wahlaargauerin wächst in Wädenswil am Zürichsee in einem Haushalt auf, in dem Kunst – vor allem die klassische Musik – zum festen Bestandteil des Alltags gehört. Nebst den Pianostunden in Jugendjahren nimmt Debrunner dann in den 1920er-Jahren Malunterricht bei Ernst Wehrli. In dieser Zeit schult sie zunehmend selbst die eigene Wahrnehmung für Formen und Farben und schafft zunächst naturalistische Landschaftsansichten. Durch die Auseinandersetzung mit den Lehren des Psychologen und Kulturtheoretikers Rudolf Maria Holzapfel (1874–1930) lernt sie an Studien- und Diskussionsabenden ihren späteren Ehemann, den Psychologen und Kunsthistoriker Hugo Debrunner (1896–1985), kennen. Später beschäftigt sich das Ehepaar ausführlicher mit den Theorien C.G. Jungs. In den 1930er-Jahren nutzt Debrunner die bildende Kunst deshalb, um ihr eigenes Unterbewusstsein zu erforschen und knüpft Kontakte mit Kunstschaffenden der von Leo Leuppi (1893–1972) und Richard Paul Lohse (1902–1988) gegründeten allianz. Obwohl Debrunner des Öfteren mit Vertretenden der Vereinigung ausstellt, bleibt eine breite öffentliche Anerkennung für ihr Werk, das sich seither zwischen Konstruktivismus und Surrealismus bewegt, aus.
Das Werk „Ruhender Magier“ (1946) lässt sich in die frühe Werkgruppe der Malereien einordnen. In ihm finden sich verschiedene zentrale Elemente von Debrunners Schaffen: Einerseits greift die farbliche Zweiteilung der Leinwand im Komplementärkontrast auf ihre intensive Recherche zur Farbpsychologie zurück; des Weiteren lädt die Darstellung zu einem Spiel zwischen Abstraktion und Figuration ein. Einem Segelboot gleich treibt das Auge mit entsprechender Spiegelung auf dem Meereshorizont. Eine geschwungene Linie verbindet den gelbgoldenen Himmel mit dem blau-violetten Wasser und taucht – bald crawlender Arm, bald knospender Anker werdend – in den metaphorischen Schlaf einer tiefen Innerlichkeit. Auch der spitze Hut des Magiers umfasst und verbindet die beiden Sphären der Aussen- und der Innenwelt symbolisch. Zum Magier verfasst Debrunner 1946 ein Gedicht, das die Näherung ihrer Arbeit an den Kontext der Metaphysik verstärkt. Nichtsdestotrotz überzeugen ihre Werke auch abseits kunstphilosophischer Theorien: Mit einem intuitiven Gespür erfasst Debrunner in ihren Werken, für die sie später auch Textilien, Bast, Tusche oder Filzstift verwendet, die geheimnisvoll werdende Vielgestaltigkeit der Natur.
Gertrud Debrunner, November 1946, Typoskript von Hugo Debrunner:
Dein blasses Gesicht,
kühle Muschel,
eingebettet
in des Arms Umschlingung,
auf Wolken ruhend,
waagrecht.
Der schmerzhafte Mund…
Tut es so weh
durchsichtig zu werden,
was hinter und unter uns
schimmern zu lassen,
wie Morgenröten
durch das zarte Fleisch
der Perlen —,
so wie des Grabes Schwärze
durchs Alabasterangesicht
der Toten steigt
als bittrer Kern?
0 dunkler,
leidvoll überwölbter
Augenstern …
So den schwarzen Punkt
zu sehen,
der unser ganzes Leben
auf sich zusammenzieht —,
auf dieses eine dunkle Rund
die ganze süsse, farbenwilde Welt!
0 Nadelöhr,
durch das sie eingehn soll…
Schlafe, Magier — schlafe.
Bassma El Adisey