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Paul Camenisch, Abendunterhaltung mit Spanienkampfbild, 1938
Oil on canvas, 93 x 121 cm, Gemälde
Aargauer Kunsthaus Aarau / Depositum der Koch-Berner-Stiftung

Das Aargauer Kunsthaus war bisher im Besitz dreier Arbeiten von Paul Camenisch (1893–1970), zweier kleinformatiger Arbeiten in Wachskreide auf Papier und eines grossformatigen Gemäldes in Öl mit dem Titel „Das Brautpaar (Oblomow und Oljga)“, das 1928 entstanden ist und die ergiebige Schaffensphase von Camenisch in den 1920er-Jahren exemplarisch dokumentiert. 2013 konnte diese Werkgruppe von Paul Camenisch in der Sammlung des Aargauer Kunsthaues ergänzt werden durch das programmatische Werk „Abendunterhaltung mit Spanienkampfbild“ von 1938. Dieses wichtige Werk war zu Beginn des Jahres im Rahmen der Ausstellung „Stille Reserven“ bereits im Aargauer Kunsthaus zu sehen. Die Koch-Berner-Stiftung hat es Mitte des Jahres angekauft und dem Aargauer Kunsthaus in grosszügiger Weise als Depositum zur Verfügung gestellt. Paul Camenischs Malweise ist Mitte der 1930er-Jahre flächiger und spröder, ja fast flimmernd geworden, und die Farbgebung ist weniger aufdringlich als noch im Gemälde „Das Brautpaar“. Der Inhalt dominiert, die malerischen Mittel ordnen sich ihm dienend unter.

Das Gemälde stellt, wie es im Titel heisst, die „Abendunterhaltung“ zweier Freundinnen dar. Sie sitzen sich auf einem Sofa gegenüber, der Schein einer angeregten Unterhaltung trügt jedoch. Die Blicke der beiden Frauen kreuzen sich kaum; wohin sie tatsächlich gerichtet sind, bleibt vage wie so vieles in diesem Bild. Sogar die brutale Szenerie in ihrem Rücken scheint die Frauen unberührt zu lassen. Was auf den ersten Blick aussieht wie die Aussicht aus einem Fenster, entpuppt sich als Gemälde – als Bild im Bild –, und was für eines! Wir blicken auf brennende Häuser, auf Bomber, auf eine Stadt im Krieg. Wohl handelt es sich um die Luftangriffe auf Guernica, jene Stadt, die während des spanischen Bürgerkriegs fast vollständig zerstört wurde. Paul Camenischs Werke aus den 1930er-Jahren sind häufig politisch motiviert. Die Teilnahmslosigkeit der Frauen, der Kontrast zwischen Krieg und bürgerlicher Idylle, die bedrängende Grundstimmung – all dies kann als kritischer Kommentar zur Haltung der Schweiz im spanischen Bürgerkrieg gelesen werden. Während sich die offizielle Schweiz in den Augen vieler ignorant gegenüber den Geschehnissen in Spanien verhielt, sind die sogenannten Spanienkrieger, die im Kampf gegen die faschistischen Kräfte nach Spanien zogen, bis heute mythenumwoben. So unvereinbar die Welten sind, die der Künstler aufeinanderprallen lässt, so frappierend ist es, wie sie vor unseren Augen immer wieder ineinanderfliessen. Eine Vibration geht vom Bild aus, welche die Bildfläche in Schwingung versetzt. Das Epizentrum der Explosion auf dem Wandgemälde scheint direkt hinter dem Kopf der rechten Person zu liegen, das Rot ihrer Haare strahlt in der Feuersbrunst fort. Geradezu zynisch wirkt da die Aufschrift „Viva la Svizzera“ auf dem Weinkrug, der auf dem Beistelltisch vorne rechts im Bild steht. Sie verkommt angesichts von Paul Camenischs Darstellung zur sinnentleerten, selbstgefälligen Floskel.

Thomas Schmutz

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