Öl auf Leinwand, je 24 x 18 cm
Exeunt. Dem Begriff, der in Bühnenstücken den Abgang der Akteure markiert, dürfte Valérie Favre (*1959) früh begegnet sein. Nach einer Theaterausbildung wirkt sie nämlich zunächst als Bühnenbildnerin und Schauspielerin, bevor sie 1983 ihre rasch erfolgreiche Karriere als Malerin beginnt. Wissentlich nimmt sie die Dramaturgie des Abtretens dann spätestens 2003 in einer offenen Reihe kleiner Ölmalereien auf. Viele der hierfür ausgewählten Sujets haben weiterhin szenischen Charakter oder gar einen expliziten Bühnenbezug. Der Fokus hingegen hat sich verschoben. Er gilt nun dem endgültigen Abgang, dem Tod.
Zehn Jahre lang nähert sich Favre dem unwiderruflichen Faktum wieder und wieder an und konzentriert sich dabei auf den selbstgewählten Tod. Am Ende sind 129 Selbstmordbilder beisammen, ein Fundus an Dramen, Schicksalsschlägen und letzten Inszenierungen. Als Favre dieses Panoptikum 2013 zunächst in der Galerie Peter Kilchmann in Zürich und danach im Neuen Berliner Kunstverein erstmals vollständig zeigt, präsentiert sie es als enge, umlaufende Reihe. Getragen von einem dunklen Streifen auf weisser respektive gelber Wand, laden die Werke so zu einer Art des Schauens ein, bei der die eigene Bewegung mit den jäh beendeten Leben brüsk kontrastiert. Intuitiv gibt die Hängung dabei auch den konzeptuellen Charakter des Vorhabens preis. Nicht das Einzelschicksal steht hier im Zentrum, egal wie sehr man sich etwa für Kurt Cobain, Diane Arbus oder Guy Debord und ihr selbstbestimmtes Ableben interessiert. Stattdessen umfasst das Aufgebot ein breites Spektrum realer und fiktiver Personae aus verschiedenen Künsten und Spektakeln und steckt eine weite Spanne zwischen Historie und jüngst vergangener Gegenwart ab. Der Schrecken des Todes sowie das Tabu, ihn sich – horribile dictu – gar eigenhändig zuzufügen, werden so durch den Plural kompromittiert. Dass Favre überdies Bilder eingestreut hat, die nicht den Tod des Individuums, sondern die Todesart reflektieren, tut sein Übriges. Das Arsenal an Methoden, das vom Gift bis zur Geisterfahrt reicht, macht die Reihe vollends zum Prototyp eines Index und bewirkt, dass man sie als künstlerisch gefilterte und deshalb sehr kurzweilige, intellektuell anregende Sammlung von sonst meist pathologisierten Handlungen liest.
Viel Anteil an der Wendung ins Leichte hat auch der Malstil. Rot ist weggelassen, es dominieren Gelb und helles Grau. Schnell und flüssig aufgebracht, wirken die Ölfarben aquarellhaft. Der unbestimmten, nur vage andeutenden Darstellungsweise spielt dies zu. Auch das kleine Format, das ein fotografisches Standardmass zitiert, trägt zur Bagatellisierung bei. Umgekehrt lässt es uns überhaupt erst herantreten und die nötige Neugier und Empathie entwickeln, um zu sehen und zu begreifen, was der Zyklus sein will: eine malerisch geführte, im Kern aber philosophische Auseinandersetzung mit den Optionen der Selbsttötung, die für jene, die gehen, letztlich ja immer auch eine Befreiung ist.
33 Teile aus der Serie wurden 2021 für die Sammlung des Aargauer Kunsthaus angekauft.
Astrid Näff, 2022