Bronze, 194 x 50 x 50 cm
Die Auseinandersetzung mit dem Selbst und dem Sein ist ein Kernthema in Mélodie Moussets (*1981) multimedialer künstlerischer Praxis. Immer wieder geht es in ihren Arbeiten darum, das Innere nach Aussen zu kehren. Mousset erzählt persönliche, zugleich schräge Geschichten und beschäftigt sich mit dem Körper, ohne sich aber in übersteigerter Subjektivität oder emotionaler Beflissenheit zu verlieren. Neue Technologien und die Errungenschaften der Natur- und Sozialwissenschaften finden ebenso selbstverständlich Eingang in ihre Arbeiten wie Schamanentum und Aberglaube.
Mélodie Mousset, die nach der Ausstellung „Inhabitations“ (2015) in der thematischen Schau „Maske. In der Kunst der Gegenwart“ im Herbst 2019 zum zweiten Mal im Aargauer Kunsthaus ausstellt, ist mit dem Werk „Hanger“ (2015) neu auch in der Kunsthaus-Sammlung vertreten. „Hanger“ ist der Form nach und wie es der Titel nahelegt ein Garderobenständer und zugleich ein sehr ungewöhnliches Selbstporträt. Der erste Blick mag durch die glänzende Oberfläche noch fehlgeleitet sein, spätestens beim zweiten Blick wird jedoch auch ohne medizinisches Vorwissen klar, was hier «hängt»: Bronzeabgüsse menschlicher Organe, ungefähr lebensgross und verführerisch schimmernd.
Es handelt sich um Nachbildungen nach Moussets eigenem Körper, die sie neben Bronze auch in Marmor, Wachs oder „en miniature“ als Schmuckstücke herstellen liess. Seit bald sieben Jahren arbeitet Mousset an diesem Werkkomplex. Ausgangspunkt war die surreale Idee, mit den Organen sich selbst zu rekonstruieren und damit ein tieferes Verständnis für den Körper und die eigene Person zu gewinnen. Die Künstlerin liess eine, wie sie es selbst nennt, „Autopsie“ ihres Körpers durchführen, aber natürlich nicht, indem sie sich aufschneiden liess, sondern mit den neusten Mitteln der medizinischen Technologie. In einem MRI-Scan wurden ihre Innereien digital erfasst und im Nachgang als 3D-Drucke in Kunstharz hergestellt. Das Set umfasste alle lebenswichtigen Organe, angefangen bei Gehirn, Lungen und Herz über Magen, Leber, Nieren und Bauchspeicheldrüse bis hin zu Gallenblase, Milz, Blase und Gebärmutter. Mit diesen 3D-Drucken im Gepäck begab sich Mousset auf eine Reise „zu sich“. Mehrere Monate war sie auf einem Frachtschiff unterwegs, das sie nach Mexiko führte. Die Organe hatte sie mittlerweile auch als Kerzen herstellen lassen.
Sie reiste weiter in den Dschungel von Sierra Madre und begab sich bei lokalen Heilern, sogenannten Curandeiros, in Behandlung. Abschluss dieser Katharsis bildete schliesslich der rituelle Akt, die Organ-Kerzen in einer Höhle anzuzünden und abbrennen zu lassen. Bezeichnend ist für Mousset, die noch an einer Videoarbeit zu dieser Reise arbeitet, die Nähe von Magie und Technik, von Geistervertreibung und MRI-Scan, oder neuerdings von Märchen und Virtual Reality. Die Künstlerin trifft damit den Nerv unserer Zeit, in der die Technikgläubigkeit durchaus pseudoreligiöse Züge angenommen hat.
Yasmin Afschar