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Thomas Galler, War is over, 2004
Druckerschwärze, Papier und Karton, 35 x 55 cm, Objekt
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung des Künstlers

Thomas Galler (*1970) ist in unserer Sammlung bereits mit einigen Arbeiten vertreten und hat im Rahmen der Jahresausstellung wiederholt im Aargauer Kunsthaus ausgestellt. Der aus Baden stammende Künstler wird hier zudem 2009 als Manor Preisträger eine Einzelausstellung präsentieren. Thomas Gallers Arbeit basiert auf der Verwendung von bestehenden Materialien wie Text-, Bild-, Film- oder Klangdokumenten. Diese Materialien bilden für die künstlerische Arbeit lediglich den Rohstoff, auch wenn es sich um so komplexe und aufwändig hergestellte Dinge wie Kinofilme oder Zeitschriften handelt, und auch wenn die Fundstücke im Werk ohne elementare Veränderungen erscheinen. Die künstlerische Strategie gründet auf einem mehrstufigen Prozess des Suchens, Analysierens, Selektionierens und Neu-Kontextualisierens des ausgewählten Materials. Durch die Überführung von der alltäglichen Dingwelt in den durch eigene Gesetzmässigkeiten definierten Bereich des Kunstwerks verschiebt sich in der Folge die Bedeutung eines Gegenstandes oder Dokuments. In seiner Videoarbeit „Inches“ (2005) beispielsweise unterlegt Thomas Galler Szenen aus dem Kriegsfilm „The thin red line“ mit der Tonspur von Oliver Stones im Footballmilieu angesiedeltem Film „Any given Sunday“. Aus der Überlagerung resultiert ein beklemmendes Video mit Bildsequenzen von erschöpften Kriegssoldaten in ihrer Einsamkeit vor und nach den Kampfhandlungen und einem Monolog eines Footballtrainers, der sein Team vor dem entscheidenden Spiel verbal und mit offensichtlicher Kriegsrhetorik aufpeitscht. Wenn der Trainer von seinen Spielern fordert, sich fürs Team zu opfern, dann ergeben sich konkrete Parallelen zum Kriegsgeschehen. Thomas Galler arbeitet hier mit Produkten aus der Unterhaltungsindustrie, und er gibt den Themen die Ernsthaftigkeit zurück, die ihnen zusteht.

Die Themen Krieg und Gewalt beziehungsweise deren mediale Repräsentationen sind zentrale Motive in Thomas Gallers Arbeit. Das hier vorgestellte Werk „Ohne Titel # 1“ ist dafür ein weiteres Beispiel. Diese anlässlich der „Auswahl 07“ für unsere Sammlung erworbene Wandarbeit besteht aus zehn Filzbérets, die angeordnet in einer Diamantform flach an der Wand hängen. Die Bérets gehören zu Uniformen der ägyptischen Armee, die Farben bezeichnen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Einheit. Den Anstoss zu diesem Werk gab ein Aufenthalt in Kairo, wo Thomas Galler in einer Museumsvitrine eine Präsentation mit ähnlichen Bérets sah. Jede dieser Kopfbedeckungen steht für einen einzelnen Menschen, gleichzeitig aber für tausende von Männern, die dasselbe tragen und für eine ganze Armee, die ein riesiges in Einheiten und Grade aufgeteiltes Gebilde darstellt. Die Uniform ist nicht nur Statussymbol und Repräsentation, sie definiert auch Zugehörigkeit. Sie ist Teil einer Strategie, die persönliche Merkmale minimiert. Nur durch die Entindividualisierung funktioniert die Instrumentalisierung für eine übergeordnete Sache. Interessant an „Ohne Titel # 1“ ist insbesondere, dass sich die Arbeit einerseits über ihre gesellschaftlich-politische Themenstellung erschliessen lässt, anderseits aber auch eine rein ästhetische Rezeption zulässt. Die zehn farbigen Punkte an der Wand wirken bei einer ersten Betrachtung so unbeschwert wie ein Arrangement mit grossen Knöpfen oder Bonbons. Die Arbeit lässt sich formal aber auch in der Tradition der Konkreten Kunst verorten – reine, monochrome Kreisformen, angeordnet in einer ausbalancierten geometrischen Form. Hier ergibt sich eine Art produktives Missverständnis, da das Formale das Werk in der Nähe einer Kunsttradition ansiedelt, die jede symbolische Lesart explizit ablehnt und eine rein ästhetische Recherche praktiziert. Thomas Gallers Arbeit jedoch ist nie nur Form, sondern vor allem immer Inhalt.

Thomas Galler ist ein konzeptuell arbeitender Künstler, der in seinem Schaffen medial ausgesprochen breit und offen zu Werke geht. Entscheidend ist die jeweilige Fragestellung oder ein spezifisches Fundstück, die oder das eine adäquate Umsetzung nach sich zieht. Letzteres ist der Fall bei der Arbeit „WAR IS OVER!“, die gleichzeitig mit dem Ankauf von „Ohne Titel # 1“ als Schenkung in die Sammlung gekommen ist. Das Werk besteht aus einer herausgelösten Doppelseite der New Yorker Zeitschrift „Village Voice“. Eine bei der Zeitungslektüre so nicht sichtbare Gegenüberstellung von John Lennons und Yoko Onos pazifistischem Inserat und Erotikannoncen zeugt von den ins Absurde kippenden Gegensätzlichkeiten der Medienrealität. Die Arbeit ist ein Ready-made, denn der Zeitungsbogen wird unverändert präsentiert. Im Gegensatz zum Ready-made der historischen Avantgarde, bei dem kunstimmanente Fragestellungen im Vordergrund stehen, geht es bei Thomas Galler allerdings um ein sicht- und erlebbar machen von verborgenen Seiten des Alltäglichen.

Madeleine Schuppli

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