Polyester , 255 x 255 x 60 cm
In Bern, wo er geboren und aufgewachsen ist und wohin er nach einer Ausbildung zum Grafiker in Biel und Paris 1964 zurückkehrt, konzentriert sich Herbert Distel (*1942) zu Beginn seiner vielseitigen Laufbahn zunächst auf die Skulptur. Im Schoss der jungen Kunstszene der Stadt, die im Rückblick gern mit der Ausstellung „Bern 66“ in Verbindung gebracht und entsprechend etikettiert wird, befasst er sich erst mit Wellblech- und Kartonreliefs und dann mit einfachen stereometrischen Volumina, die er aufbricht oder – im Fall von Kugelhälfte und Kegel – spielerisch zu spitzen Tropfenformen arrangiert. Durch den Griff zum neu verfügbaren Werkstoff Polyester erfolgt auch in technischer Hinsicht eine Aktualisierung. Parallel stellt sich ihm die Frage der Farbwahl, die nicht nur ästhetischer Natur ist. Vielmehr streift sie punktuell auch Aspekte der Pop Art, wobei sowohl motivisch als auch bezüglich der Idee des „colossal monument“ besonders an Claes Oldenburg (*1929) gedacht werden darf.
Aus dieser kurzen, aleatorischen Pop-Episode, die für Distels weitere Werkentwicklung wegen der Orientierung weg von der Geometrie hin zum Alltag gleichwohl von fundamentaler Bedeutung ist, besitzt das Aargauer Kunsthaus mit den Arbeiten „Edamer“ (1967) und „Eierteppich“ (1969) gleich zwei wichtige Zeugnisse. Bei ersterem handelt es sich um eine im Grunde noch immer abstrakte, frei stehende Plastik aus drei miteinander verbundenen Halbkegeln, deren gegenständliche Lesart allein auf der Kombination von roter Aussenseite und gelbem Kern beruht. Das spätere Werk ist eine ebenfalls zweifarbige Bodeninstallation, die ihre Wirkung aus dem Zusammenspiel von 25 weissen Ovoiden oder „Eiern“ und 36 türkisgrünen achtseitigen Pyramidenstümpfen gewinnt. Obgleich sie nur lose aneinandergereiht sind und etliche konträre Eigenschaften besitzen, erwecken die 61 Elemente den Eindruck eines kompakten Gebildes, dessen Anordnungsschema einen monumentalen, voll bestückten Eierkarton imitiert. Nicht immer gelingt es jedoch, jedes einzelne Stück millimetergenau auszurichten. Nebst der charmanten Absurdität, einen Teppich aus rohen Eiern zu imaginieren, liegt ein Teil des Reizes dieser Arbeit daher auch in der Vorstellung, wie das strenge Gitter, das die amerikanische Kunstwissenschaftlerin Rosalind Krauss 1979 in ihrem kanonischen Essay „Grids“ zu einem wesentlichen Merkmal modernistischer Kunst erhebt, zerfällt. Ganz wie im wahren Leben, wo der Transport einer Eierpalette stets zum mentalen Balanceakt gerät, verselbständigt sich der Anblick zum inneren Bild davonkullernder Eier. Bestenfalls und mit Seitengedanken an Oldenburgs „Sculpture in the Form of a Fried Egg“ (1966) zerspringen diese aber nicht zu einem „Eiertätsch“, sondern bilden ähnlich wie Oldenburgs „Giant Pool Balls“ (1967) ein im Kern dynamisches und als „Eierteppich“ buchstäblich niederschwelliges Gegenszenario zu jeglicher Art formalistisch-elitärer Kunst. Aus dieser populären Warte ergibt auch der Eierkarton Sinn, dieses übervertraute, jährlich milliardenfach produzierte Ding, das trotz seiner Ingeniosität so banal ist, dass es fast immer achtlos entsorgt wird, und dies wohl auch 1969, im Jahr seines fünfzigjährigen Industriejubiläums.
Nicht unerwähnt sei zuletzt, dass das Ei in Distels Schaffen zwischen 1968 und 1970 noch weitere Auftritte hat: Als synthetischer Fremdkörper aus Polyester oder ironisch zum Denkmal seiner selbst deklarierter „Findling“ aus Granit liegt es zum einen auf Grünflächen oder am Rand einer Autobahn; zum anderen wird es mehrfach schwimmend in Seen und Flüssen verankert, bevor es schliesslich mit allerlei Technik im Innern, doch nur von Wind, Wellen und Strömung getragen, im Rahmen des Projekts „Canaris“ (1970) den Atlantik traversiert. Spätestens mit diesem Grossprojekt tritt die plastische Erkundung bei Distel unumkehrbar hinter konzeptuelle, intermediale und transdisziplinäre Ansätze zurück.
Astrid Näff