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Franz Gertsch, Schwarzwasser, 1991
Farbholzschnitt auf Papier, 276 x 217 cm, Druckgrafik

Atmosphärisch entrückt und zeitlos mutet der grossformatige Holzschnitt „Schwarzwasser“ von Franz Gertsch (1930-2022) an. Der mystisch klingende Werktitel beschreibt im doppelten Sinn, was wir sehen: auf der Ebene des Sujets einen Ausschnitt des gleichnamigen Flusses, der unweit von Gertschs Wohn- und Arbeitsort in Rüschegg verläuft. Auf formaler Ebene beschreibt der Titel die Tatsache, dass es sich um eine Darstellung in Schwarzweiss handelt, wobei die dunkle Fläche des Wassers von Lichtstellen aufgelockert wird, die feine Bewegungen sichtbar machen.

Gertsch vollzieht 1986 eine Zäsur in seinem Schaffen, die sich über die folgenden neun Jahre fortwirkt. In seiner fotorealistischen Malerei ist er zu diesem Zeitpunkt technisch und stilistisch zu einem Höhepunkt gelangt. Im traditionellen Medium des Holzschnitts findet der Künstler neue gestalterische Möglichkeiten und belebt dieses dadurch neu. Seinem grundlegenden Bildkonzept bleibt er dabei jedoch treu: Auch die Holzschnitte beruhen auf fotografischen Vorlagen, die auf eine monumentale Holzplatte statt wie bisher auf eine Leinwand projiziert werden. Entgegen seiner malerischen Verfahrensweise, bei der Farbpunkt an Farbpunkt gefügt wird, entwickelt Gertsch für den Holzschnitt jedoch ein subtraktives Verfahren, bei dem er mit einem U-förmigen Hohleisen millimetergrosse Kerben aus dem Holz herausschnitzt, wobei die ausgehobenen Stellen im gedruckten Bild als helle Partien erscheinen. In einem aufwendigen manuellen Druckverfahren werden mehrere Abzüge desselben Motivs in unterschiedlichen Farbtönen angefertigt. Aus diesem minutiösen, oft monatelangen Arbeitsprozess resultieren grafische Bilder, die in ihrem Wechselspiel zwischen hellen und dunklen Flächen allerdings vielmehr malerisch anmuten. Der malerische Duktus ist durch das mechanische Verfahren gleichzeitig von einem persönlichen Stil befreit – trotz der immensen handwerklichen Arbeit bleibt die Künstlerhand unsichtbar.

In seinen Holzschnitten beschränkt sich Gertsch auf einige wenige Motive: Nach monumentalen Frauenporträts und Landschaften gerät ab 1990 mit dem Werkzyklus „Schwarzwasser“ das Motiv des Wassers in den Fokus seines künstlerischen Interesses. Der Holzschnitt aus der Sammlung des Aargauer Kunsthauses stellt dabei das erste Werk dieses neuen Motivzyklus dar. Stärker als in vorangegangenen Werken ist die Bildwirkung hier durch die Ausschnitthaftigkeit der Darstellung bestimmt, die von der fotografischen Vorlage herrührt. Die dadurch erzielte Allover-Wirkung erlaubt kaum eine Definition von räumlichen Verhältnissen oder eine eindeutige Leserichtung. Die Tiefe des Raumes verschmilzt mit der Fläche des Bildes, sodass wir nicht über die einheitliche Fläche des leicht bewegten Wassers hinwegzusehen vermögen. Gleichzeitig weist das Bild über seine Ränder hinaus, lässt uns das Gewässer als Ganzes erahnen. Tritt man näher an den Holzschnitt heran, löst sich jedoch die gegenständliche Sichtweise auf und der Blick wird auf die künstlerische Behandlung der Oberfläche gelenkt. Anstelle einer exakten Naturwiedergabe rückt die Bildhaftigkeit des Motivs ins Zentrum. Bildausschnitt, Auflösung des Bildgegenstands und monochrome Farbigkeit fungieren dabei als distanzschaffende Mittel, um zu einer allgemeinen Aussage, zum „Wesenhaften“ des Elements Wasser zu gelangen. Aus der schnellen fotografischen Aufnahme wird in langwieriger, meditativer Handarbeit ein ikonenhaftes Bild, in dem Augenblick und Dauer gleichermassen enthalten sind. Im Motiv des Schwarzwasser spitzt sich dieser spannungsvolle Kontrast zusätzlich zu, da hier das stete Fliessen des Wassers mit der starren und unwiderruflichen Form des Drucks zusammentrifft.

Raphaela Reinmann, 2018

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