Polyester, Polyurethanlack (Autolack), 155 x 155 x 155 cm
Schon bei seiner Präsentation in der Gruppenausstellung „Wege und Experimente“ 1968 befand die Zeitung „DIE ZEIT“ den „Edamer“ als erwähnenswert: „Zu übersehen ist er gewiß nicht, dieser ʹEdamerʹ aus hochmodischem Polyester: 1,55 Meter hoch, breit und tief liegt er, außen knallrot, im ʹAnschnittʹ dottergelb, halb fliegende Untertasse und halb Kreisel, auf grauem Spannteppich im Zürcher Kunsthaus.“ Die Plastik des Berner Künstlers Herbert Distel (*1942) präsentiert sich als raumgreifendes Objekt, das sockellos auf dem Boden aufliegt. Sie ist definiert von Rundungen, Kanten und Flächen in starkem Rot-Gelb-Kontrast und lässt, wie das Zitat belegt, unterschiedlichste Assoziationen zu.
In den 1960er-Jahren gilt Distels künstlerisches Interesse der Skulptur und geometrisch-mathematischen Überlegungen. Nach Ausbildungen an der Kunstgewerbeschule in Biel und an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris bezieht er 1964 ein Atelier in Bern. Zeitgleich gelangt er über Wellblech- und Kartonreliefs zu dreidimensionalen Objekten, wobei Kugel und Kegel sein bevorzugtes Formenvokabular bilden. Später kommen Ei- und Tropfenformen hinzu. Einhergehend mit der Markteinführung neuer synthetischer Werkstoffe entstehen 1965 erste Kegelplastiken aus Polyester. In diesem beständigen und leichten Kunststoff findet Distel das ideale Material für seine Werke. Er beginnt einzelne Kegel- und Kugelformen zu in sich geschlossenen Objekten zu addieren, wie bei „Edamer“, der drei Kegel vereint. In diesem plastischen Frühwerk sind die einzelnen stereometrischen Module teilweise beschnitten oder verzogen, sie bleiben aber immer erkennbar.
Distels Plastiken sind anfänglich nur in Weiss gehalten, ab 1965 setzt er zunehmend Farbe ein. Die Verbindung von Körper und Farbe wird zu einem wichtigen Gestaltungselement. Auch bei „Edamer“ ist das Zusammenspiel von Rundungen und Flächen durch die kontrastierenden Farben Rot und Gelb besonders betont. Sind in Distels frühen Plastiken durchaus Einflüsse der Zürcher Konkreten – in Gestalt von klaren Formen und starken Farben – auszumachen, so lassen sich ebenso Parallelen zu gegenläufigen Tendenzen ziehen. Gerade der unverhohlene Bezug zum populären niederländischen Käse lassen das Werk in die Nähe der Schweizer Pop Art rücken. Wenn auch Distel keinesfalls als Pop-Art-Künstler bezeichnet werden kann, so hat er doch mit „Edamer“ oder auch mit „Eierteppich“ (1969, Aargauer Kunsthaus, Inv.-Nr. S4647) ausgewählte Werke geschaffen, die ganz im Stil der Pop Art alltägliche Konsumgüter in stark vergrösserter Form zum Gegenstand der Kunst erheben.
Einhergehend mit einer regen Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland prägt Distel in den 1960er-Jahren die dynamische Berner Kunstszene und ist Teil der freien Künstlergruppierung „Bern 66“. Ab 1969/70 tritt er zunehmend mit Audio- und Videoarbeiten ausserhalb traditioneller Kunstinstitutionen sowie konzeptuellen Werken in Erscheinung, davon ist das „Schubladenmuseum“ (1970–1977) eines seiner bekanntesten Projekte.
Katrin Weilenmann