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Christoph Rütimann, Handlauf Kürbis, 2004 - 2005
1-Kanal-Videoinstallation, Farbe, Ton, 07' 22''
Aargauer Kunsthaus Aarau / Depositum der Walter A. Bechtler-Stiftung
Copyright: Christoph Rütimann
Fotocredit: Jörg Müller, Aarau

Christoph Rütimann (*1955) ist ein vielseitiger Künstler. Er malt ohne zu malen, schafft ungewöhnliche Klangskulpturen, agiert installativ und performend, filmt und fotografiert. Als gemeinsamer Nenner ist dabei nebst dem kontinuierlichen Ausweiten von Grenzen die Leitfrage nach dem Wert und dem Warenstatus der Kunst in einem von Vermassung und Ökonomisierung bestimmten Milieu zu erkennen. Antworten gibt der Künstler im konzeptuellen Ausweichen auf alternative Bedeutungsträger, neue Verfahrensweisen, periphere Orte und frische Blickwinkel.

In der Reihe der seit 1999 entstehenden „Handläufe“ fliessen viele dieser Aspekte zusammen. Wie der Titel nahelegt, ist das Hauptmotiv dieser Videoarbeiten oft ein Geländer. Ersatzweise trifft man auf Balustraden und Mauerkanten, auf Leitungen, Schläuche und vom Künstler eigens verlegte Rohre. Filmend bewegt sich Rütimann entlang dieser Linien, die Linse stets nah am Leitstrang. Untermalt von Rattern und Schleifen, gleitet die auf Rollen montierte, vom Künstler von Hand gestossene Kamera dabei wie auf Schienen. In dieser Hinsicht führen die „Handläufe“ die Arbeit „Besitzen“ (1999) fort: eine videografische Achterbahnfahrt, die Rütimann erstmals auf dem Dachfirst der Kunsthalle Bern realisierte, nachdem er zuvor in einer waghalsigen Eröffnungsaktion an gleicher Stelle auf einem Stuhl gesessen und so die Institution wortwörtlich in Besitz genommen hatte. Ästhetisch haben die vielfach schiefen und unscharfen Aufnahmen ihre Vorläufer dagegen bereits in den Jahren 1979 und 1982, als Rütimann auf einer Bus- respektive Zugfahrt schon einmal mit einer selbstperformenden Kamera experimentierte. Weitere Parallelen bestehen zur Arbeit „Die endlose Linie“, eine verschlungene, in sich selber aufgehende Raumzeichnung in Form einer Stahlrohr-Plastik, mit welcher der Künstler ab 1989 in den jeweiligen Raumdimensionen die institutionellen Gegebenheiten auslotete und dabei wiederholt auch Wände oder sogar die Gebäudehülle durchstiess.
Im Unterschied dazu verlaufen die „Handläufe“ weitgehend geradlinig. In Innen- und Aussenräumen rund um den Globus gefilmt, gewähren sie Einblicke in Orts- oder Landestypisches, und dies nicht selten mit einem Schuss Humor. Zur unwiderstehlichen Wirkung trägt bei, dass die Einkanalvideos ihre Fertigungsweise nie leugnen. Flott, aber stets etwas ruckelig und manchmal leicht wegkippend, fangen sie die Wegstrecken ein und trotzen mit ihrem Low-Budget-Profil jedem hochfliegenden cineastischen Anspruch. Ihr Reiz liegt in ihrer hypnotischen Qualität und der ungewohnten Optik. Stösst die Kamera an Hindernisse, so tunnelt sie diese pragmatisch mit einem Cut. Sektor um Sektor erhält so jede Kamerafahrt im Stop-and-Go-Prinzip ihren eigenen Charakter, Rhythmus und Fluss.
Unter den vielen Dutzend „Handläufen“, die Rütimann mittlerweile realisiert hat, sticht der herbstliche „Handlauf Kürbis“ von 2004–2005 besonders hervor. Mit seiner Dauer von nur gerade 2:35 Minuten gehört er zu den kürzesten Clips und auch die Nähe zur Natur macht ihn besonders. Wie schon einmal im Jahr davor, als der Künstler in einem Waldstück auf Pilzsuche ging, erfolgt der wilde Kameraritt auf Höhe des Bodens. In dieser Liliputperspektive kurvt man auf einem orangefarbenen PVC-Rohr zwischen prallen Früchten, Stängeln und Blattwerk durch den Komplementärfarbendschungel eines Kürbisfelds, bis das Abenteuer schliesslich am Hofladen des Kürbisbauern endet.
Gefilmt hat Rütimann diese gleichermassen unprätentiöse wie sensationelle Arbeit unweit seines eigenen Wohnorts, am Dorfeingang von Müllheim. „Handlauf Kürbis“ ist somit auch ein besonderes Bekenntnis zur Wichtigkeit, die dem jeweiligen Achtsamkeitsradius zukommt – ganz egal ob dieser im Herzen einer Weltstadt, in den Bergen oder in einem ländlichen, nurmehr eingeschränkt zu verortenden Umfeld liegt. Gefeiert wird nicht das touristische Klischee, sondern das Unterwegssein als Kunstform. Von Belang ist daher stets auch die physische Nachvollziehbarkeit der Aktion. Bei den Werken mit eigens angelegter Strecke geschieht dies oft durch Einbezug eines Teils des als Schiene genutzten Materials. Dies gilt auch für die installative Fassung im Aargauer Kunsthaus, bei der ein Stück des originalen orangefarbenen Kabelschutzrohrs, wie es damals zur Ummantelung elektrischer Aussenleitungen handelsüblich war, als Zeugnis der unmittelbaren Berührung mit der Welt an das Video heranführt.

Astrid Näff

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