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Ilse Weber, Die Flüsse, 1968
Bleistift auf Papier, 42 x 54 cm, Arbeit auf Papier

Die Sammlung des Aargauer Kunsthauses beherbergt um die fünfzig Werke der Aargauer Künstlerin Ilse Weber (1908–1984), darunter Arbeiten auf Papier und auf Leinwand. Weber ist in der schweizerischen Kunstgeschichte eine Einzelfigur, die aber zu einer wichtigen Integrationsfigur wird für eine ganze Generation von Aargauer Künstlerinnen und Künstler, insbesondere für die Kunstschaffenden der Ateliergemeinschaft am Ziegelrain in Aarau: Heiner Kielholz (*1942), Christian Rothacher (1944–2007), Hugo Suter (1943–2013), Josef Herzog (1939–1998), Max Matter (*1941) und andere prägen ihrerseits die Schweizer Kunst in den 1970er-Jahren entscheidend.

Den Entschluss, Künstlerin zu werden, fasst Weber schon früh, und sie erhält mit 22 Jahren den ersten Malunterricht. Anschliessend besucht sie in Paris die Malschule von Othon Friesz (1879–1949) und unternimmt eine Reise nach Rom, wo sie ihren zukünftigen Ehemann, den Genfer Maler Hubert Weber (1908–1944), kennenlernt. 1944, drei Jahre nach der Geburt einer Tochter, stirbt ihr Gatte. Weber wendet sich ganz der Malerei zu und führt ein Leben als Berufsmalerin, was damals für eine Frau bemerkenswert ist. Mit öffentlichen Wandbildern sichert sie sich den Lebensunterhalt, und ihre kunstfertig gemachte, konventionelle Malerei – Stillleben, Landschaften, Interieurs mit ihrer Tochter – wird von der offiziellen konservativen Kunstkritik anerkannt. Parallel zu ihrer Auftragsarbeit durchläuft Weber einen künstlerischen Prozess, und um 1960 vollzieht sich ein Wandel in ihrem Schaffen. „Ich möchte etwas malen, was ich noch nie gesehen habe“, lautet ein damals oft von ihr wiederholter Satz, der ihr, einem Leitspruch gleich, den Weg einer künstlerischen Eigenständigkeit und einer eigenwilligen Bildsprache weist.
„Die Flüsse“ stammt aus der Zeit nach ihrer Umorientierung und trägt Webers neu gewonnene, unverwechselbare Handschrift. Die Zeichnung eröffnet den Blick auf eine Landschaft, in deren Vordergrund mittig eine Stange mit wehender Fahne steht, um die sich verhüllte, skulpturale Gegenstände gruppieren. Im Mittelgrund sind die titelgebenden Flüsse übereinander angeordnet, im Aufbau ähnlich einer Torte. Im Hintergrund zeichnen sich die Gebäude und Türme einer Ortschaft ab.
In Webers einzigartigem Spätwerk existieren die sichtbare Wirklichkeit und Bilder aus einer inneren Welt gleichberechtigt nebeneinander. Die Küsntlerin bleibt einer traditionellen Mal- und Zeichenkultur verpflichtet, verbindet sie aber mit einer von jedem Vorbild gelösten poetischen Subjektivität. Durch die Kombination von Gegenständen aus dem täglichen Umfeld mit persönlichen Erinnerungen, Sehnsüchten und Träumen erschafft Weber schwierig zu entschlüsselnde Darstellungen. Flüsse sind neben Bäumen, verlassenen Behausungen oder Orten wiederkehrendes Motiv in ihren Bilderrätseln sind neben Bäumen, verlassenen Behausungen oder Orten Flüsse und mit ihnen das Fliessen. Sie stehen als Metapher für das Fliessen der Zeit und für die Vergänglichkeit. In veränderter Gestalt und neuen Zusammenhängen kommen sie immer wieder vor.

Indem sich ihr Werk auf eine Innensicht verlagert, gewinnt die Technik der Zeichnung für die Veranschaulichung ihrer privaten Bildwelt an Bedeutung. Neben Aquarell und Gouache ermöglicht dieses Medium der Künstlerin, innere Befindlichkeiten sensibler festzuhalten. Mit ruhigen Darstellungen erzählt Weber persönliche Geschichten in einer von ihr entwickelten, eigenen Sprache, die viele wichtige künstlerische Tendenzen der Zeit um 1970 enthält.

Karoliina Elmer

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