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Otto Mueller, Badendes Paar, Um 1924
Leimfarbe auf Jute, 100 x 80 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Legat Dr. Othmar u. Valerie Häuptli
Copyright: lizenzfrei

Otto Mueller (1874–1930) studiert von 1894 bis 1896 an der Dresdner Kunstakademie und tritt 1910 der expressionistischen Künstlergruppe „Brücke“ bei. Gemeinsam mit Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) und Erich Heckel (1883–1970) hält er sich regelmässig an den Moritzburger Teichen nördlich von Dresden auf. Dort entstehen viele seiner Gemälde von Badenden. Dieser Thematik bleibt Mueller auch nach der Auflösung der „Brücke“ bis ans Ende seines künstlerischen Schaffens treu.

Anders als seine „Brücke“-Kollegen versucht Mueller die Expressivität seiner Bilder nicht mittels der Farbgebung zu steigern, sondern reduziert im Gegenteil seine Farbpalette auf erdige, gedämpfte Töne. Auch in seiner Technik und Motivwahl zeigt sich Mueller weitaus weniger experimentierfreudig als der Rest der Gruppe. Alle lehnen jedoch die akademischen Malereitraditionen ab und finden sich vor allem in der Sehnsucht nach neuen und zugleich ursprünglichen, einfachen und harmonischen Lebensformen wieder.

Im Bild „Badende“ schreitet eine junge Frau aus dem Bild heraus auf die Betrachtenden zu. Wir blicken frontal auf ihr Geschlecht und ihre Nacktheit. Ihr Oberkörper ist abgedreht, und sie blickt über ihre linke Schulter nach hinten. Ihr Blick sucht vermutlich die Augen des Jünglings, der hinter ihr steht. Auch der Betrachter blickt in diese Augen. Der Jüngling schreitet zur Seite, und obwohl räumlich versetzt, scheinen sich die Hände der beiden Figuren zu berühren. Das erigierte Glied des Jünglings ist das entscheidende Moment in der paradiesischen Darstellung. Die Freiheit der Gefühle, die Kraft des Lebens und die Wahrhaftigkeit des Moments wird durch nichts getrübt, auch nicht durch eine aus dem 19. Jahrhundert entlehnte bürgerliche Korrektheit. Die ganze Szene spielt sich an einem mit Schilf bewachsenen Ufer eines Teiches oder Sees ab. Die Halme umrahmen die Szene und sind auf allen Seiten randabfallend – ein eigentliches „allover“-Bild, das den Betrachter mitten ins Geschehen zieht. Die stilisierte, eckige Bearbeitung der Formen distanziert das Bild formal von einer Landschaftsmalerei, die auf Lieblichkeit oder romantische Gefühle abzielt. Es ist die Unmittelbarkeit der Szene, die den Betrachter fesselt. Gebrochene Farbtöne nehmen die Expressivität jedoch zurück und verorten das Geschehen in einer Realität, die vielleicht näher ist, als man auf den ersten Blick vermutet.

Bettina Mühlebach, 2018

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