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Sophie Taeuber-Arp, Coquilles et fleurs, 1938
Öl auf Holz / Oil on wood, 60 x 60 x 7.7 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau und Gottfried Keller-Stiftung, Bundesamt für Kultur, Bern
Fotocredit: Jörg Müller

Sophie Taeuber-Arp (1889–1943) gilt als Schweizer Pionierin der konstruktiven und abstrakten Kunst. In ihrem Œuvre widerspiegelt sich ihre gattungsübergreifende Denk- und Vorgehensweise; Es umfasst Malerei, Design, Textilien, Zeichnung, Plastik, Architektur, Tanz und Szenografie. Die Sammlung des Aargauer Kunsthauses beherbergt eine repräsentative Werkgruppe Taeubers, die ihre gesamte Schaffenszeit wie auch alle Medien abdeckt. Zugleich stellt es den Höhepunkt des Konvoluts konkreter Kunst in Aarau dar. „Coquilles et fleurs“ konnte 1989 unmittelbar nach der Retrospektive Taeubers im Aargauer Kunsthaus zusammen mit der Gottfried Keller-Stiftung erworben werden. Das Kreisrelief bildet innerhalb des Bestandes der Künstlerin ein bedeutendes Werk: Das Tondo ist aus vier Holzschichten aufgebaut und setzt sich – wie im Titel angedeutet – aus Überlagerungen von organisch geschwungenen Muschel- und Blumenformen zusammen.
Von diesem Relief existieren zwei weitere identische Ausführungen – eines im Kunsthaus Zürich, ein zweites in der Stiftung Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp, Remagen-Ronaldseck. Bereits Anfang der 1930er-Jahre stellt die Künstlerin von einer Bildidee Varianten her, indem sie Elemente zu neuen Kompositionen zusammenfügt. Die Fassung in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Aspekt von den beiden anderen: Die Oberflächen des Reliefs sind weiss, die Kanten der Binnenformen bemalt Taeuber jedoch mit gelber Farbe. Sie irritiert unsere Wahrnehmungsgewohnheiten, denn was eigentlich dunkler als die Oberfläche erscheinen sollte, weil es im Schatten liegt, leuchtet in einem hellen Gelb auf und strahlt bei seitlicher Betrachtung als Reflex auf der darunterliegenden weissen Fläche ab.

In den frührn 1930er-Jahren, auf dem Höhepunkt ihres künstlerischen Werks, gewinnt der Kreis in Taeubers Bildern und Reliefs an Bedeutung. Zunächst schafft sie mit „Compositions à cercles“, „Cercles mouvementées“ oder „Cercles et barres“ einige ihrer eigenständigsten Kompositionen, in denen Kreisformen ein wichtiges Gestaltungselement bilden. Ab 1936 fertigt sie Temperablätter – „Compositions dans un cercle“ – die einen Schritt weitergehen: Die Künstlerin erhebt den Kreis zur Bildform und unterteilt seine Fläche auf unterschiedlichste Art in farbige Segmente. Gleichzeitig tritt der Kreis zum ersten Mal als Relief auf. Sie interessiert sich für den Ausdrucksgehalt von Formen wie Kreis, Rechteck oder Dreieck und für die Frage nach ihrem Gleichgewicht. Die Tondi fasst Taeuber als Werkgruppe unter dem Titel „Bewegte Kreisbilder“ zusammen. Alle weisen den gleichen Durchmesser auf und bestehen aus drei bis vier übereinandergelegten Holzplatten. Schicht für Schicht arbeitet sich die Künstlerin in die Tiefe und erzielt somit Räumlichkeit.

Die frei und organisch gestalteten Formen erinnern an natürlich Gewachsenes, was die von Taeuber sorgfältig formulierten Titel wie „Coquilles et fleurs“ bestätigen. Diese Annäherung scheint einerseits der Naturverbundenheit der Künstlerin zu entspringen, andererseits auf ihre intensive Auseinandersetzung mit dem Surrealismus hinzuweisen, indem sie bekannte Strukturen neu zusammensetzt und diese dadurch mit einer übertragenen Bedeutung versieht. Wesentlich scheint für die Künstlerin der Symbolgehalt der Kreiskomposition. Da Taeuber ihre Rundreliefs als rotierende Scheiben auffasst, existieren keine bestimmten Ausrichtungen. Sie verzichtet auf gerade Linien und rechte Winkel, die eine klare Definition der Hängung mit sich gebracht hätten. Eine metaphorische Bedeutung erkennt auch der Kunsthistoriker Rudolf Koella in dem vollendeten Gleichgewicht von Fläche und Raum, von Ruhe und Bewegung, eingeschlossen in einer Kreisform, die Ganzheit schlechthin symbolisiert. Die Künstlerin spiele auf geheimnisvolle Art und Weise auf schwer darstellbare Dinge wie Zeit und Ewigkeit an. Sie verleihe den Arbeiten eine Aura, die mit den Worten von Taeubers Ehemann Hans Arp „in die Weite, in die Tiefe, in die Unendlichkeit zeigen“.

Karoliina Elmer

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