Strick (25m), Metall, Holz, Glas, 360 x 260 x 330 cm
Die digital generierten Zeichnungen und Animationen des in Zürich lebenden Yves Netzhammer (*1970) sind unverkennbar. Seine mit der Maus entworfenen Bildwelten sind präzise, reduziert und wirken geradezu klinisch steril. Alle Menschen und Tiere, die sich in Yves Netzhammers Universum bewegen, sind abstrahierte, geschlechtslose Gestalten. Die mittels einem 3D-Computeranimationsprogramm realisierten grafischen Arbeiten und Videoprojektionen arrangiert der Künstler oft mit Objekten und Sound zu vielschichtigen Multimediainstallationen.
Das Werk „Das gemeinsame Ziel vorbeiziehender Formen“ (2010) zeugt von Yves Netzhammers zunehmender künstlerischer Auseinandersetzung mit dem realen Raum. Der Künstler hat die Installation eigens für die Ausstellung „Voici un dessin suisse. 1990−2010“ geschaffen, die zu Beginn des Jahres 2011 im Aargauer Kunsthaus zu sehen war. Die Schau zeigte die verschiedenen und überraschenden Entwicklungen in der zeitgenössischen Zeichnung auf. „Das gemeinsame Ziel vorbeiziehender Formen“ kann als Manifest für die Weiterentwicklung der Zeichnung gelesen werden. Die beiden hellblauen, gerahmten Blätter an der Wand sind leer, das Motiv ist nicht vorhanden. Die Zeichnung hat sich vom Papier und seiner Begrenzung durch den Rahmen gelöst. Der Löwe steht als Held einer neuartigen, dreidimensionalen Inszenierung auf dem leeren Rahmen und evoziert eine von allen Bürden befreite Zeichnung. Tierdarstellungen kommt in Netzhammers Werken eine besondere Bedeutung zu. Der Löwe als König der Tiere wurde in der Geschichte wiederholt aufgegriffen, um Machtansprüche geltend zu machen oder zu bekräftigen und gilt als Symbol für Mut und Überlegenheit. Verweist der Künstler auf die in den letzten Jahrzehnten wachsende Wertschätzung gegenüber der Zeichnung? Denn seit den 1960er-Jahren beurteilt man – insbesondere auch in der Schweiz – das Potenzial der Zeichnung neu und die traditionelle Hierarchie zwischen den verschiedenen Ausdrucksmedien wurde zusehends aufgehoben. Ausstellungen wie „Le dessin suisse. 1970−1980 (1983) und „Im Reich der Zeichnung“ (1998) im Aargauer Kunsthaus stehen ohne Zweifel für die Aufwertung der Zeichnung und dem veränderten Rezeptionsverhalten.
Im Werk deutet die Linie, das Hauptelement der Zeichnung, in Form der schwarzen Kordel das Motiv zwar an, die Zeichnung aber zerfällt und die Linie sucht sich ihren Weg in den Raum. Sie verbindet sich mit den drei Pfeilern und wird zur Abschrankung und somit zum Schutz ihrer selbst. Neben der klassischen Bildabschrankung hat der Künstler sich eines weiteren Topos des Museumsalltages bedient – dem Stuhl im Ausstellungsraum. Der Stuhl von Yves Netzhammer verwehrt es dem Aufsichtspersonal jedoch, sich darauf zu setzen und auszuruhen. Das Thema des Stuhls hat der Künstler wiederholt in seinem Schaffen aufgegriffen. Er steht für den Künstler, der seine Figuren bis anhin nur am Computer erschaffen hat, als Körperersatz, als Stellvertreter für den Menschen und seine Befindlichkeit.
Mit dem Ankauf von „Das gemeinsame Ziel vorbeiziehender Formen“ konnte das Aargauer Kunsthaus die Sammlung um ein Werk dieses wichtigen zeitgenössischen Schweizer Künstlers erweitern, der bis anhin nicht in Aarau vertreten war.
Katrin Weilenmann