Lambdaprint auf Dilite, 31 x 45 cm
Nach einem Werkbeitrag 2010 und einem Atelierstipendium 2011 wurde die aus Suhr im Kanton Aargau stammende Künstlerin Eva Maria Gisler (*1983) 2012 zum zweiten Mal mit einem der jährlich vergebenen Förderbeiträge des Aargauer Kuratoriums ausgezeichnet. Prämiert wurde eine Werkgruppe bestehend aus vier Fotografien, die sie im Rahmen der Auswahl 12, der Jahresausstellung des Aargauer Kunsthauses und des Aargauer Kuratoriums, präsentierte. Aus dieser losen Serie konnte das Aargauer Kunsthaus die Arbeiten „Bow Creek“, „did you“ und „Ohne Titel“ – alle 2012 entstanden – erwerben und damit den ersten Ankauf dieser jungen und vielversprechenden Künstlerin tätigen. Eva Maria Gisler (*1983) lebt und arbeitet in London, wo sie an der Slade School of Fine Arts ein Masterstudium in Bildender Kunst absolviert.
Die Wahrnehmungsmodi von Räumlichkeit sind ein wiederkehrendes Thema in Eva Maria Gislers Fotografien, Videos und Installationen – so auch in den drei neu erworbenen Fotoarbeiten. Das Spiel mit der Dimensionalität von Raumsituationen koppeln diese auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Werke an fotografiespezifische Fragestellungen. Eva Maria Gisler bricht mit der klassischen Funktion der Fotografie als Mittel zur Darstellung der Wirklichkeit und wirkt so unseren tradierten Sehgewohnheiten entgegen. Für ihre analogen Fotoarbeiten greift sie tief in die fototechnische Trickkiste – Belichtung, Beleuchtung, Bildausschnitt, Entwicklung und Materialität sind in einem ausgeklügelten Verfahren perfekt aufeinander abgestimmt. Resultat sind konstruierte Abbildungen, die unsere Wahrnehmung herausfordern. An der Grenze zur Abstraktion etwa bewegt sich die Arbeit „did you“. Zwei weisse Flecken stehen in hartem Kontrast zur vornehmend schwarzen Bildfläche. Frühestens beim zweiten Hinsehen erkennt man eine durch Balken in der oberen Bildhälfte angedeutete Räumlichkeit und erst die Information, dass es sich bei der Arbeit um eine analoge, unbearbeitete schwarz-weiss Aufnahme handelt, lässt auf den Ursprung der weissen Löcher schliessen: Sie stellen reale Lichtquellen im eigens für die Aufnahme inszenierten Setting dar. Den im Atelier konstruierten Bildmotiven stellt Eva Maria Gisler die Abbildungen vorgefundener Situationen gegenüber – Arbeiten also, die man als dokumentarisch bezeichnen könnte, wären sie nicht von Brüchen und Stolpersteinen durchsetzt, welche uns die Konstruiertheit der (zivilisierten) Realität vor Augen führen. Eine solche Arbeit ist „Bow Creek“. Die Aufnahme einer Industriebrache im gleichnamigen Ostlondoner Stadtteil dient denn auch weniger dem Festhalten dieses städtischen Nicht-Ortes als vielmehr der formalen Analyse des architektonischen Raumgefüges. Die Betonung der Horizontalen durch die Spiegelungen, die Gliederung des Bildausschnittes entlang von Lineaturen wie Fensterrahmen oder Kabel und die markante Farbigkeit einzelner Bildelemente haben eine Art geometrischen Reduktionismus zur Folge. Die einzelnen Gebäudeteile zersetzten sich in unserer Wahrnehmung zu aufeinandergestapelten Quadern. Der Verfall, dem die Industriearchitekturen geweiht sind, erhält in Eva Maria Gislers Darstellung eine eigentümlich formalistische Dimension. Sie ist Ausdruck der Unwirklichkeit der fotografischen Realität, die die Künstlerin in ihren Arbeiten immer wieder von Neuem einzufangen versucht.
Yasmin Afschar