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Johannes Robert Schürch, Emigranten, 1938
Tusche laviert und Aquarell auf Papier, 20.5 x 27 cm
Aargauer Kunsthaus, Aarau / Schenkung der Sophie und Karl Binding Stiftung
Copyright: Erica Ebinger-Leutwyler Stiftung
Fotocredit: Brigitt Lattmann

Johannes Robert Schürch (1895-1941) ist in Aarau geboren und mit seinem facettenreichen malerischen und zeichnerischen Werk ein wichtiger Repräsentant für die Schweiz der frühen Moderne. Seine Papierarbeiten sind in der Sammlung des Aargauer Kunsthaus und in anderen grossen Museen zahlreich vertreten.

Bereits in der Kindheit und Jugend machte der Künstler Erfahrungen mit Armut, Tod, Leid und Entbehrung. Diese Prägung, gepaart mit einer fortwährenden Suche nach Identität und dem Seienden, führten ihn zu einer künstlerischen Gestaltung existentieller Themen, die er auch in der Literatur bei Dostojewski (1821–1881), Zola (1840–1902) und Nietzsche (1844–1900) aufnahm. Gleichzeitig registrierte er mit seiner seismografischen Bildsprache den damaligen Zeitgeist und die Gesellschaft, sowie die Auswirkungen der aufstrebenden Grossstädte und der beiden Weltkriege. Seine Haltung gegenüber dem Leben und der Welt lässt sich kunsthistorisch dem Geist des Expressionismus zuordnen. Sein Werk bildet auch deshalb einen Höhepunkt in der Schweiz. Schürch fand in Van Goghs Expressivität, auch in Cézannes naturalistischen Studien und, allen vorab, in Ferdinand Hodler starke Vorbilder. Hodler erkannte seine Begabung und Schürch assistierte ihm als Schüler. Abgesehen von seiner regen Vorstellungskraft führten Schürch Anregungen aus Illustrationen zu einem ganz eigenen Ausdruck, vor allem in sozialen Milieustudien, wobei ihn die Balzac’sche «comédie humaine» stets als Quelle beeinflusste. Dies illustriert auch die 2024 im Aargauer Kunsthaus gezeigte Einzelausstellung «Johannes Robert Schürch. Alles sehen». In den präsentierten Arbeiten widmet sich der Künstler Randständigen und Ausgestossenen wie Armen und Prostituierten. Dabei geht es ihm nicht vordergründig um einen politischen Gestus oder eigene Erfahrungen, denn er betont: « (…) Die Menschen bei mir werden immer tragisch, fast bis zur Lächerlichkeit; aber ich kann nichts dafür. Es ist durchaus nicht etwa ein Interessant-machen-Wollen, wenn ich Absinthtrinker, Gaukler, Verbrecher oder was weiss ich mache, auch ist es gar keine Anklage gegen die Gesellschaft.»

Auch wenn Schürch in den 20er-Jahren Kontakte zu den Expressionisten, wie den Malern Ignaz Epper (1892–1969), Fritz Pauli (1891–1968) und Walter Kern (1898–1966) pflegte, schloss er sich nie einer Künstlergruppe an. Anfangs der 30er-Jahre bricht er aus seiner Isolation in Brione aus und begegnet der Emigrantenszene in Ascona. Es lässt sich vermuten, dass die Begegnung mit der emigrierten Malerin Marianne von Werefkin Anstoss zu seinem eher kleinformatigen Gemälde «Emigranten» von 1938 gab, auch wenn in seinem Briefwechsel nichts Konkretes verbürgt ist.

Für den Künstler ist sowohl die inhaltliche Umsetzung als auch eine formale Lösung evident. In seinem mit Tusche lavierten und mit Aquarell gemalten Werk scheint das Leiden der beiden gebrochenen Emigrierenden wortwörtlich durch. Das Schicksal wird durch die resignierte Körperhaltung und das Vornüberbeugen der Frau sowie der abstützenden Gestik des Mannes unterstrichen. Die halbgeschlossenen Augen vermitteln den Eindruck von Melancholie und Gleichgültigkeit. Eine berührende Zuneigung füreinander ist durch die zärtlichen Farben aus dem Trüben kommend spürbar und gleichzeitig strömt das Bild eine tiefe Verlassenheit und Einsamkeit aus. Diese Polarität zeigt sich auch im skizzenhaften Strich, der Offenheit und Leerstellen ermöglicht.

Personifiziert wird hier die Resignation. Tuscharbeiten auf Papier wie die Darstellung eines sich zugeneigten «Paar» um 1931 aus dem Kunsthaus Zürich, könnten als zugespitzte und abstrahierte Skizzen und Vorstufen für das ausgeführte Werk «Emigranten» gedient haben. So ging es Schürch vordergründig nie um Einzelschicksale, sondern um die Suche nach der eigenen Existenz, die Darstellung der Vergänglichkeit und deren Ausdruck im Seienden und Existentiellen des Menschen allgemein.

Ursula Meier, 2024

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