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Alex Hanimann, Ohne Titel, 1999
Dispersionsfarbe auf Wand (Grösse variabel), ca. 3 x 2 m, Installation
Aargauer Kunsthaus Aarau

Alex Hanimann (*1955) ist ein Künstler, bei dem – prima vista – Anschaulichkeit regiert. Seine Bildwerke sind figurativ, die Sujets zumeist rasch erfassbar. Dasselbe gilt für die Textarbeiten, die schon naturgemäss auf Begriffliches und sprachlich Kommunizierbares zielen. Dabei spielt der Rückgriff auf dokumentarisches, lexikalisches oder enzyklopädisches Material der Vorstellung von einer objektiven Wirklichkeit ebenso zu wie die formale Gestaltung: So sind Hanimanns Zeichnungen auffallend schematisch, seine Ölbilder tendieren zum Hyperrealismus und die Arbeiten mit Text präsentieren sich vielfach typografisch präzise und schnörkellos. Auch das Agieren aus einem sammelnden und ordnenden Ansatz heraus lässt den Eindruck von Klarheit entstehen. Mit Hanimann ist offensichtlich jemand am Werk, dem es um Logik und Sinnstiftung geht.

Rasch jedoch werden die vermeintlich einsichtigen Sachverhalte komplex. Gleichartiges weist überraschende Anomalien auf, Aussagen werden zurückgenommen oder gar in ihr Gegenteil überführt. Im Nebeneinander nunmehr widersprüchlicher Wahrheiten wird die Welt – jeder Systematisierung zum Trotz – als unüberschaubar und verwirrend erfahrbar gemacht. Dabei stellen sich zwischen den Werkteilen zahlreiche Verknüpfungen ein, die mal sinnvoller, mal unsinniger erscheinen. Gerade letztere öffnen das Denken jedoch für weitere spontane Assoziationen: ein subjektiver Akt, der die Bedeutungsfülle weiter anwachsen lässt.

Von Möglichkeitsebenen, vom weiten Feld zwischen dem, was ist und was sein könnte, handelt auch die Textarbeit „Was wirklich oder was vorstellbar ist […]“. Als Wandbild hat Alex Hanimann sie erstmals für die Ausstellung „99 respektive 59“ realisiert, ein Projekt, mit dem Beat Wismer und Stephan Kunz, die damaligen Leiter des Aargauer Kunsthauses, auf die vier Jahrzehnte seit dem Bezug des Museumsgebäudes im Jahr 1959 zurückblickten. Spezifisch für den Anlass entstanden und direkt am Eingang platziert, implizierte die Arbeit, dass es nicht nur darum ging, sorgsam Bilanz zu ziehen. Sie gab auch zu verstehen, dass die Ausstellung im Wissen um den bereits in Planung befindlichen Erweiterungsbau als Ausblick, als Versprechen für die Zukunft diente. Formal erfolgte die Umsetzung damals in voller Raumhöhe mit weissen Lettern auf schwarzem Grund – also gut lesbar. Die verfügbare Fläche fiel im Verhältnis zur Schriftgrösse aber relativ schmal aus, was mehrere Worttrennungen bedingte. Einzelne Wortteile wie etwa „unwahr-“ nahmen dadurch über den semantischen Zusammenhang hinaus eine Eigendynamik an, die die Zahl der Szenarien noch um die sprachliche Spanne zwischen faktischer Aussage, Irrealis und Potentialis erweiterte.

Diese übergeordnete, auf das allgemein Denk- und Vorstellbare zielende Lesart zeigte sich 2009 in der Ausstellung „Conceptual Games“, einem Überblick über Hanimanns Textarbeiten, noch viel deutlicher. Dort nämlich fand die Folge von Aussagen – diesmal in Weiss auf Grau und auf sechs statt auf neun Zeilen verteilt – ihre Nachbarschaft neben der Arbeit „Die Ursache der Wirkung“ (1997-98, Inv.-Nr. 5730). Bestehend aus 194 schwarzen Tafeln mit weiss aufgedruckten Satzbausteinen, lud die zu gleichen Teilen aus je- und desto-Sentenzen zusammengestellte Installation dazu ein, sich anhand der gefühlt unendlichen Variantenvielfalt bewusst zu machen, dass das Befolgen grammatikalischer Logik nicht zwangsläufig Sinn generiert. Oder um ein Beispiel zu nennen: „Je unbestimmter die Situation, desto klarer die Verhältnisse.“

Auf die Empirik dieses kombinatorischen Experiments mit seinen abertausend denkbaren Paarungen lieferte die Wandarbeit mit ihren wenigen generischen Aussagen eine knapp formulierte Antwort. Wie knapp aber kann und darf eine solche Verallgemeinerung sein? Wann erwachsen Redundanzen? Was dient unabdingbar der Präzision? Im Fortgang der Ausstellung gab Hanimann auch darauf eine Antwort, indem er – für ihn typisch – eine nochmalige Schlaufe legte und die Besucher in einer weiteren Arbeit mit der Frage konfrontierte, ob denn das Allgemeine tatsächlich oder nur sinngemäss die Fortsetzung des Besonderen sei.

Astrid Näff

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