Öl auf Leinwand, 67.5 x 92 cm
Dank einer Schenkung der Freunde der Aargauischen Kunstsammlung zum hundertjährigen Jubiläum des Aargauischen Kunstvereins gelangt 1960 das Werk „Hochzeit auf dem Dorf“ von Wolfgang-Adam Töpffer (1766–1847) in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses. Heute wird der Genfer Maler in der Schweizer Kunstgeschichte neben Jean-Etienne Liotard (1702–1789) und Johann Heinrich Füssli (1741–1825) als einer der wichtigsten Künstler seiner Epoche angesehen sowie als Vorläufer der Freilichtmalerei eines Camille Corot (1796–1875) und der Schule von Barbizon eingestuft.
Töpffer absolviert zunächst eine Lehre als Kupferstecher, durch die er ein Meister der Linie und ein virtuoser Zeichner wird. Nach verschiedenen Aufenthalten in Paris und London lässt er sich in Genf nieder, wo er als Karikaturist in einer erstaunlichen technischen Vielfalt zum kritischen Kommentator der lokalen Politik wird. Seine satirischen Blätter bescheren ihm seinerzeit in Paris den Übernamen „le Hogarth de Genève“.
Gleichzeitig wendet er sich der Aquarell- und Ölmalerei zu. Auf Reisen nach Savoyen studiert er dessen Landschaften und Sitten sowie die Physiognomien seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Ganz im Geist Jean-Jacques Rousseaus (1712–1778) begibt sich Töpffer in seinen Bildern auf die Suche nach dem einfachen Leben und einer ursprünglichen Naturverbundenheit. Die Beobachtungen fliessen in seine Landschafts- und Genrebilder wie das Gemälde „Hochzeit auf dem Dorf“. Es ist um 1830 entstanden und zeigt das festliche Ereignis in der Art holländischer Genrebilder aus dem 17. Jahrhundert: Eine Hochzeitsgesellschaft, angeführt von einem Musiker, zieht aus der Kirche. Schaulustige auf dem Dorfplatz verfolgen die Feier. Die reich ausstaffierte Szene führt das Interesse des Karikaturisten Töpffer an Typen und Charakterköpfen vor Augen, lassen sich doch gut gekleidete Bürger ebenso wie Bettler und Bauersleute entdecken. Das Werk zeigt beinahe die gleiche Komposition wie sein Vorgänger „Noce villageoise“ (1812) aus dem Musée d’Art et d’Histoire in Genf, ist aber in seiner Ausführung skizzenhafter und weist im Vordergrund unvollendete Stellen auf. Obwohl die Landschaft, das Dorf und seine Bewohner Resultat genauer Beobachtung sind, mutet das Bild als idealisiertes Gegenbild zum tatsächlichen zeitgenössischen Geschehen an: Gerade das Herzogtum Savoyen leidet zur damaligen Zeit unter der französischen Fremdherrschaft, die Ungerechtigkeit und Not mit sich bringt. Die Stellung des Künstlers zwischen Idealismus und Realismus wiederspiegelt die beiden künstlerischen Pole, die das 19. Jahrhundert wesentlich prägen.
Karoliina Elmer