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Christian Rothacher, Ohne Titel, 1970 - 1971
Bambus (Flöte), Stoff, 38.5 x 243.5 x 2.5 cm, Objekt
Aargauer Kunsthaus Aarau

Christian Rothacher (1944–2007) gilt als Initiant und Mitbegründer der Ateliergemeinschaft Ziegelrain in Aarau. 1967 mietet er und Heiner Kielholz (*1942), Max Matter (*1941), Markus Müller (*1943) sowie Hugo Suter (1943–2013) Räume in einem ehemaligen Fabrikgebäude. Dank ihrer Offenheit und Neugier gegenüber den avanciertesten Kunstformen der Zeit, wird der Ort schon bald zu einem Brennpunkt einer künstlerischen Auseinandersetzung, die weit über die Kantonshauptstadt hinausstrahlt.

Der gelernte Schuhkreateur Rothacher hat seine erste Karriere bei Bally in Schönenwerd aufgegeben, um in Zürich an der Kunstgewerbeschule zu studieren. Er gehört der ersten freien Kunstklasse an, die unter dem Name F+F von Serge Stauffer (1929–1989) und Hansjörg Mattmüller (1923–2006) geleitet wird. Über die Pop Art findet er den Einstieg in die eigene Arbeit. Mit technisch brillanten, verspiegelten Bildkästen feiert er erste Erfolge, wendet sich aber schon bald wieder davon ab. Im Umgang mit kunstfremden Materialien (Äste, Felle, Leder, Schnüre etc.) widersetzt er sich einer strengen Formgebung und schafft Werke, die im internationalen Kontext von Arte Povera und Konzept-Kunst gesehen werden können.

In der Werkentwicklung von Rothacher zeigt sich zu Beginn der 1970er-Jahre eine Zäsur, wie sie ganz ähnlich auch bei seinen Künstlerfreunden der Ateliergemeinschaft Ziegelrain zum Ausdruck kommt und darüber hinaus als Neuorientierung in der Kunst der Zeit beobachtet werden kann. „Nach der Auseinandersetzung mit dem Neuen von aussen beginnt nun diejenige mit dem eigenen Innern, da man sich plötzlich wieder der Wertigkeit, der Originalität, der Kreation bewusst ist und damit auch der eigenen Phantasie, Psyche und geistigen Kraft.“ (Martin Kunz) Damit einher gehen eine Individualisierung der Themen und die Konzentration auf persönlich Bedeutsames. Für Künstler wie Rothacher wird parallel dazu die Zeichnung als Medium immer wichtiger, und seine nun weit intimeren Arbeiten basieren vermehrt auf persönlichen Erfahrungen und leben von poetischen Bildentwürfen.

Aus dem Nachlass des Künstlers konnte das Aargauer Kunsthaus zwei Werke aus jener Zeit erwerben, die deutlich machen, wie sehr die Bildwelt Rothachers in den frühen 1970er-Jahren von individuellen Zeichen geprägt ist. Beide Werke widerspiegeln auch seine grosse Affinität zur Musik: In der Zeichnung mit Spazierstock und Schlange spielt ein eher lasziver Tango während die Bambusflöte mit ihrer langen Stoffbahn ein eher poetisches Lied anklingen lässt. Mittels solch musikalischer Bilder gelangt Rothacher zu einem Ausdruck besonderer Lebensweisen, die er in seiner Kunst zu formulieren sucht und für die er zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Metaphern findet.

Ein drittes Werk, ebenfalls aus dem Nachlass erworben, gehört in die jüngste Schaffensphase des Künstlers, in der er sich noch mehr auf Motive aus seinem nächsten Umfeld konzentriert und in Gegenständen aus dem Atelier, in eigenen Kleidungsstücken oder, wie in unserem Aquarell, in aufgerissenen Briefumschlägen Themen entdeckt, die ihn schon in den „wilderen“ Jahren am Ziegelrain beschäftigt haben. Etwa das Wechselspiel von strenger und freier Form, von hart und weich, von abstrakter Komposition und handfester Realität.

Stephan Kunz

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