Hinterglasmalerei, Öl, Aluminiumkonstruktion, 230 x 240 x 230 cm
Wir bewundern nach wie vor das sichere Urteil, mit dem der damalige Leiter des Kunsthauses, Heiny Widmer, 1983 vom gerade erst 27-jährigen Maler Anselm Stalder (*1956) das grosse, in jenem Jahr entstandene Bild „Spiel der Könige“ erworben hat. Dieses wichtige frühe Werk erweist sich in der Rückschau als für die weitere Entwicklung des Malers richtungweisendes Schlüsselwerk. Im Lauf der folgenden Jahre gelang es uns, durch Ankäufe, Depositen und Schenkungen von wichtigen Gemälden, einer umfangreichen Gruppe von Papierarbeiten und einer zentralen Skulptur, eine qualitativ herausragende Werkgruppe aus der ersten Hälfte der 1980er-Jahre zusammenzustellen, die einen gültigen Überblick über das frühe Werk und einen guten Einblick auch in die spätere Arbeit dieses streng konzeptuell vorgehenden Bilder-Denkers und Malers vermittelt. Lange war es unser Wunsch, diesen Schwerpunkt im neueren Teil der Sammlung mit jüngeren Werken weiter auszubauen. In Zusammenarbeit mit dem Künstler gelang es, in der Eröffnungsausstellung des neuen Kunsthauses mit zwei präzis ausgewählten, zentralen Arbeiten den neueren Stand der Entwicklung in der bildnerischen Recherche zu zeigen. Von der Sammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft erhielten wir als Dauerleihgabe eine umfangreiche neunteilige, komplexe Text- Hinterglasmalerei von 1989/90, in der gut lesbare Worte und kurze Textteile durch Überlagerung zweiter und dritter präzis geschriebener Textfetzen der einfachen Lesbarkeit wieder entzogen werden. Das Problem des gleichzeitigen Auf- und Zudeckens der Malerei, das sich dem lesenden Auge offenbart, ist auch zentral für die zweiteilige, frei im Raum stehende grosse Hinterglasmalerei „Imaginationsfilter“; und zugleich geht es hier auch um das Thema und die Frage, wie Bilder überhaupt entstehen: als Vorstellungsbilder wie als Malerei. Diese Arbeit konnten wir für unsere Eröffnungsausstellung ausleihen und im letzten Jahr erwerben. Stalder hatte diese programmatische Arbeit für seine Übersichtsausstellung in der Kunsthalle Basel ausgeführt und sie darin an zentraler Stelle gezeigt. Dieter Koepplin beschrieb das aufschlussreiche Werk und seine Entstehung im Katalog dazu ausführlich: Stalder „sitzt vor der klassischen Schauseite der beiden riesigen Hinterglastafeln (…); und er überlegt oder sieht, was noch auf der Hinterseite (von der Rückseite her) malerisch anzubringen ist. Fortwährend muss Stalder, sobald er sich vom Betrachter zum Maler verwandelt, um die Glaswände herumgehen, damit er auf der Rückseite, die zugunsten der Vorderseite gestaltet wird, tätig werden kann. Diesmal entschloss sich Stalder freilich dazu, dem Betrachter die Schau- und die Arbeitsseite der beiden im GrundrissT-förmig aneinander geschobenen und dadurch standfähig gemachten Glasbilder gleichwertig oder wenigstens ohne vorweggenommene unterschiedliche Bewertung zu präsentieren. Die relativ matte, technisch eigentlich dienende Rückseite darf sich nun in ihrem eigenen funktionellen Charakter sehen lassen. Die rechtwinklig aufeinander stossenden Gläser spiegeln ein wenig mit ihren Vorderseiten: eine weitere, nicht unerwünschte Vermehrung der Komplexität dieses Werkes. Klar, dass sich der Betrachter des Imaginationsfilters mit dem Konzept und dem Herstellungsprozess, den die aktive Betrachtung in sich schliesst, ausserordentlich stark konfrontiert fühlt. Vor allem aber kann er etwas Allgemeineres krass erleben, was auch durch den Werktitel benannt wird: die Bildwerdung als ein Ausfiltern, ein quasi durch die Scheibe Fast-Hindurchschweben und malerisch Aufgefangenwerden des Imaginierten; ein offener Vorstellungsraum und Denkraum mit einer Überfülle von Bildern, verbunden mit einer Filterfläche, mit welcher, obschon sie zunächst durchlässig ist ‚wie Glas‘, Bildfragmente herausgefiltert werden, sodass sich das bemalte Glas, diese transparente Grenze, mehr und mehr zu einer Projektionsfläche und zum bunten, sich organisierenden Sammelbild verwandelt. Die herausgefilterten, schon zuvor in Zeichnungen selektionierten, dem Chaos mit einer gewissen Systematisierung entrissenen Bildfetzen (ein Bein, ein Haus, etwas Kopfartiges, viel Andersartiges, gleichermassen Gegenständliches wie Imaginiertes oder aus Flecken Herausgelesenes) erscheinen in der ungefähren Wiederholung gespiegelt, ja auch (der T-Position der Gläser entsprechend) um 90 Grad gedreht (sodass beispielsweise ein Kopffragment hier frontal und dort im Profil erscheint). Das beginnt sich nur bei genauer analytischer Betrachtung zu erschliessen; und es ist sehr die Frage, wie weit es sich wirklich enthüllen soll oder aber in die Buntheit des atmenden Gesamtbildes wieder abtauchen möge. Im „Imaginationsfilter“, der ohne hohe Bewusstheit und Planung niemals hätte entstehen können, finden sich, einmal mehr, Strenge und Lockerung, immer gegenwärtige Systematik und die Offenheit für Augenblicksentscheide modellhaft zusammen.“
Beat Wismer