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Léopold Robert, Orangenpflückerinnen auf Capri, 1824
Öl auf Leinwand, 47 x 37 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Depositum der Gottfried Keller-Stiftung, Bundesamt für Kultur, Bern
Copyright: gemeinfrei
Fotocredit: Jörg Müller

Unter stahlblauem Himmel sitzen zwei weibliche Figuren, die sich in einem Orangenhain auf Capri zur Rast niedergelassen haben. Sie lauschen den Klängen eines Mandolinenspielers, der sich im linken Bildmittelgrund hinter Orangenbäumen befindet. Die linke Frau sitzt frontal vor dem Betrachtenden, wendet ihr ebenmässiges Gesicht aber dem Musikanten zu. Die zweite Figur schmiegt sich von rechts an sie, dadurch erscheint ihr Körper im Profil, ihr Gesicht ist frontal wiedergegeben. Die Felsen am rechten Bildrand und ein Segelschiff auf dem Meer hinter dem Spielenden leiten über Bucht, die das Gemälde abschliesst.

Das Gemälde „Orangenpflückerinnen auf Capri“ gelangt 1962 als Depositum der Gottfried Keller-Stiftung in das Aargauer Kunsthaus und bildet einen Höhepunkt der idealistischen Malerei des 19. Jahrhunderts in der Sammlung. Die Darstellung besticht durch die kräftigen, sorgfältig abgestimmten Farben. Sie ist ein Hauptwerk einer Reihe ähnlicher Motive, die Léopold Robert (1794–1835) nach seinen beiden Neapel-Reisen 1821 und 1825 malt. Seit 1818 lebt der Künstler hauptsächlich in Italien, zunächst in Rom, Neapel und zuletzt in Venedig. Bis zu seinem Lebensende greift Robert immer wieder das Sujet der zwei Frauen auf. Nach seiner zweiten Reise in den Süden Italiens erweitert Robert den Themenkreis und hält auch Fischer und Bauern fest. Er gilt somit zu Recht als Erneuerer des italienischen Genres.

In den 1820er- und 1830er-Jahren beschäftigt sich Robert intensiv mit klassizistischen Kompositionsprinzipien, wie sie ihm sein Lehrer und Vorbild Jacques-Louis David (1748–1825) beigebracht haben muss. Die Angleichung der Figuren an geometrische Formen und der zurückhaltend gestaltete Hintergrund führen seine Auseinandersetzung mit dem klassizistischen Meister vor Augen. Der Bildvordergrund wird hervorgehoben: Vom unteren Bildrand her baut er die Figurengruppe zur klassischen Pyramidenform auf. In der Motivwahl beschreitet er indessen eigene Wege: Er wendet sich von antiken Stoffen ab und befreit sich damit vom Einfluss Davids. Während eines Aufenthalts in Rom beginnt Robert typisch italienische Alltagsmotive in seine Darstellungen einzuführen. Er studiert die Architektur des Landes und fertigt in raschen Ölskizzen Studien italienischer Landschaften an. Trotz ihrer Aussagekraft sind diese nicht als Vorstudien für autonome Landschaftsdarstellungen gedacht, sondern dienen als Hintergrund für Figurenbilder. Die damalige künstlerische Elite hat wenig Verständnis für ausschliessliche Landschaften und spricht ihnen eine untergeordnete Funktion zu. Durch seine Studien löst sich Robert von den Vorgaben des klassizistischen Landschaftsbildes und versucht, die wahre Gestalt der Natur und ihr Farbenspiel festzuhalten. Er nähert sich den frühen Pleinairisten an, Vorläufern Jean-Baptiste Camille Corots (1796–1875), die als erste ihre Staffeleien im Freien aufstellen und anhand ihrer Natureindrücke im Atelier Landschaften komponieren. Robert ist zudem einer der ersten Künstler im 19. Jahrhundert, der auch das Volk für bildwürdig erklärt. Über die Darstellung von Frauen aus dem Volk findet er findet zum klassischen Idealbildnis italienischer Frauen.

Von dem Motiv in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses existieren weitere Versionen: „Zwei Mädchen am Brunnen“ (1827) und „Das Geheimnis“ (1830). Zusätzlich beherbergt die Stiftung Oskar Reinhart in Winterthur das Werk „Neapolitanischer Fischer mit Mädchen aus Ischia“ (1827) – der träumerische Blick des darauf abgebildeten Mädchens korrespondiert mit dem Ausdruck der rechten weiblichen Figur im Werk der Aarauer Sammlung.

Karoliina Elmer

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