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Mai-Thu Perret, Ornament and Crime no 1, 2004
Keramik, Holz, 178 x 151 x 35 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Depositum der / Deposit of the / Dépôt Walter A. Bechtler-Stiftung
Copyright: Mai-Thu Perret, Genève
Fotocredit: Jörg Müller

Mai-Thu Perrets (*1976) Schaffen umfasst unterschiedlichste Genres von Malerei und Bildhauerei über Installation, Video, Performance und Design bis hin zu Textarbeiten. Inspiration findet die Genfer Künstlerin in der Kunst- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ihr besonderes Interesse gilt dabei den Avantgardebewegungen und deren utopischen Denkentwürfen. Ursprünglich in Literaturwissenschaften ausgebildet, dienen ihr Texte aller Art als wichtiges Referenzsystem, seien es theoretische und historische Kontextliteratur oder eigene Schriften. Am bekanntesten ist die Erzählung „The Crystal Frontier“, die Perret 1999 initiiert. In einer Vielzahl von Geschichten und Textfragmenten schildert sie den Alltag einer Gruppe von Frauen, die in der Abgeschiedenheit der Wüste New Mexicos eine Kommune gegründet haben und dort ein autarkes Gesellschaftsmodell leben. Insbesondere in den frühen Werken werden diese Erzählungen aus New Ponderosa, wie Perret den Ort der Kommune tauft, wiederholt aufgenommen. Beispielsweise beansprucht Perret die Frauen als Urheberinnen bestimmter Arbeiten, meist typisch weiblich konnotierter Handwerksprodukte wie Keramik oder Textiles. Damit strapaziert sie nicht nur das Credo der individuellen, klar greifbaren Autorschaft, sondern thematisiert darüber hinaus kollaborative Arbeitsweisen sowie die Randzonen von Kunst und Design.

„Ornament and Crime no 1“ wird erstmals im Rahmen einer Einzelpräsentation von Perret an der Art Basel 2004 gezeigt. Als Reaktion auf den Kontext der Messe inszeniert Perret den Stand als Verkaufs- und Werbeplattform von New Ponderosa – Mannequins tragen Kleidungsstücke, die angeblich von den Frauen in der Kommune hergestellt worden sind, und auf einem Regal finden sich acht Keramikvasen, von denen Perret ebenfalls behauptet, sie stammten aus der Werkstatt der Frauen. Ganz so wie sie auf der Art Basel ausgestellt gewesen sind – auf einem scharfkantigen schwarzen Regal mit auskragenden Ecken –, bilden Letztere die Arbeit „Ornament and Crime no 1“, die wiederum die Signatur von Perret trägt. Der Status der Installation schwankt damit zwischen abgeschlossenem Werk, das an der Messe zu Kunstmarktpreisen im Angebot steht, und einem temporären Verkaufsdisplay von Deko-Produkten.

Typisch für Perret ist der Apparat an Verweisen und möglichen Deutungen damit aber noch nicht ausgeschöpft. Eine weitere Spur führt zum Titel der Arbeit: „Ornament und Verbrechen“ heisst nämlich auch Adolf Loos’ berühmte Schrift von 1908, in der er die Verwendung von Ornamenten in Architektur und angewandter Kunst auf das Schärfste verurteilt, ja zum Ausdruck wenig entwickelter Kultur degradiert. Demgegenüber fordert er Gestaltungsansätze, die sachlich und funktionsorientiert sind. In Perrets Arbeit widerspiegeln sich Loos’ Gebote vor allem in der schnörkellosen Ausführung der Keramikvasen im Bauhaus-Stil. In die vordergründig klare Form- und Farbsprache sind aber ebenso gezielte Brüche integriert. Auf einer Vase etwa ist eine Pflanzenschlinge angedeutet – ein gemäss Loos verbotenes Element des Jugendstils; auf einer anderen ein Kreuz, das Loos als erstes Ornament der Menschheitsgeschichte erachtet und damit gewissermassen als Ursprung allen Übels. Für den Ausstellungsraum geschaffen, dezidiert funktionslos und primär dekorativ, fordert Perrets Arbeit Loos’ modernistischen Standpunkt auch in dieser Hinsicht heraus und deutet eine Neubewertung seines prägenden Diktums an. „Ornament and Crime no 1“ findet 2011 als Depositum der Walter A. Bechtler-Stiftung Eingang in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses und wird sogleich in der grossen monografischen Ausstellung „The Adding Machine“ gezeigt.

Yasmin Afschar

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