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Ricco (eigentlich Erich Hans) Wassmer, Rimbaud: Après le déluge, 1958
Oil on canvas, 81 x 100 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Frau K. Wassmer-von Mandach und Herr Franz Wassmer, Ennetbaden

2003 gab der Sammler Emanuel Martin zwanzig Ölgemälde und Zeichnungen des Künstlers Ricco (1915–1972) als Dauerleihgabe in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses. Das Gemälde „Rimbaud: Après le déluge“ war bereits 1989 – als Schenkung von Frau K. Wassmer-von Mandach und Herr Franz Wassmer von 1989 ins Aargauer Kunsthaus gekommen. Aufgrund seines reichen Symbolgehalts war die surreale Komposition in verschiedenen thematischen Ausstellungen zu sehen – unter anderem in „Glückliche Tage? Kinder in der Schweizer Kunst vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ im Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen 2008 oder in der Sammlungsschau „Nachtbilder“ im Aargauer Kunsthaus 2015/16.

Erich Hans Wassmer – der sich ab 1937 Ricco („der Reiche“) nannte – wuchs in behüteter und privilegierter Umgebung auf. Die Erinnerung an das Kinderparadies auf Schloss Bremgarten, wo sich Künstler, Literaten und Musiker trafen, schwingt in seinen Bildern mit. In dem wehmütigen Versuch, an der verlorenen Kindheit festzuhalten, zog er 1952 in das Schloss Bompré bei Vichy. Mit der Distanz zum Elternhaus veränderte sich auch sein Schaffen. Von einer naiven, pastosen Malerei entwickelte er sich hin zu einer glatten, surrealen Gestaltungsweise, die dem Magischen Realismus zuzuordnen ist. Die Schilderungen seiner Jugend werden um eine rätselhafte Metaebene erweitert. Als Inspiration diente ihm unter anderem die dingmalerische, traumhaft verworrene Sprache des modernen Dichters Arthur Rimbaud (1854–1891). In der Textsammlung „Les Illuminations“ (1873–1875) fand Ricco sein Sehnen nach der kindlichen Fantasiewelt reflektiert. Daraufhin setzte er einzelne Gedichte – darunter auch „Après le déluge“ (Nach der Sintflut) – bildnerisch um.

„Rimbaud: Après le déluge“ zeigt eine Freilichtszene bei Vollmond. Staffageartig gliedert sie sich in verschiedene Raum- und Erzählebenen. Im Hintergrund zeichnen sich die Umrisse eines Bergkamms ab. Davor sitzt eine Frau am Klavier. Die hervorblitzenden Türme einer Schlossanlage wirken wie ein stilles Bildzitat auf das Frühwerk des Künstlers. Ein Regenbogen überspannt das Hintergrundgeschehen. Eine von Wohnblöcken gesäumte Gasse führt den Hügel hinab. Herrenlose Boote schlittern die Strasse hinunter – geradewegs auf die Hauptfigur der Komposition zu. Bei dem schlaksigen, übergross dargestellten Knaben muss es sich, laut Titel, um den jungen Dichter Arthur Rimbaud handeln. Wasserspuren lassen auf die verebbte Sintflut schliessen. Links fällt der Blick in einen Innenraum, in dem eine Gruppe von schwarz gekleideten Mädchen und Knaben beisammensteht. Rechts im Bild hockt ein riesiger Feldhase zwischen Blumen und Gräsern.

Viele der surrealen Bildelemente sind in dem Gedicht angelegt: „Sobald die Erinnerung an die Sintflut sich beruhigt hatte, blieb ein Hase im Klee und in den schwankenden Glockenblumen sitzen und sagte dem Regenbogen ein Gebet, durch das Netz der Spinne hindurch […]“. Und weiter: „Frau […] stellte ein Klavier in den Alpen auf […]“.

Während der Schriftsteller die Vorgänge chronologisch ordnete, kreiert Ricco eine collageartige Gleichzeitigkeit. Durch den Jungen, der mit der Hand auf die (alb-)traumhafte Szenerie hindeutet, schafft der Künstler eine Identifikationsfigur an der Scheide zwischen der realen Katastrophe und dem ersehnten Paradies.

Die Literatur diente Ricco als Inspiration für seine Kunst. Sich selbst sah er in der Rolle des Erzählers: „Ich glaube nicht, dass ich das Erzählerische und Illustrative vermeiden kann, dies ist mein Temperament und Charakter. Das Motiv ist für mich der Anfang. Ich bin halt ein Bastard zwischen einem Schriftsteller und einem Maler.“

Julia Schallberger

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