Gouache auf Papier, 26 x 20.5 cm
Als Maler, Zeichner, Aktionskünstler, Dichter, Autor, Verleger und Musiker ist Anton Bruhin (*1949) ein Universalkünstler. 1966 tritt er in die kurz zuvor von Serge Stauffer (1929–1989) und Hansjörg Mattmüller (1923–2006) gegründete Klasse Form und Farbe an der Kunstgewerbeschule Zürich ein. 1967 beginnt er eine Lehre als Schriftsetzer, die er nach einem Jahr jedoch abbricht. Fortan als freischaffender Künstler tätig, zeichnet er und schreibt Lyrik, vor allem Palindrome (Wörter und Sätze, die vorwärts und rückwärts gelesen dasselbe ergeben). Zusammen mit Hannes R. Bossert (1938–2015) gründet er seinen eigenen Verlag; er malt, veranstaltet Happenings – und lernt Maultrommel spielen. Diesem Instrument begegnet er Ende der 1960er-Jahre in der Zürcher Hippieszene, und er professionalisiert sein Spiel so lange, bis er als internationale Grösse gilt. Das bild- und textbasierte Schaffen des Innerschweizer Künstlers hingegen tritt zeitweilig in den Hintergrund, nachdem er in seinen Anfängen an wegweisenden Ausstellungen wie „Mentalität: Zeichnung“ (1976, Kunstmuseum Luzern) und „Saus und Braus“ (1980, Strauhof Zürich) beteiligt gewesen ist. Mit Bruhins steigender Kunstproduktion und Ausstellungstätigkeit ab 2000 und nicht zuletzt durch die Auszeichnung des Künstlers mit dem renommierten Prix Meret Oppenheim 2014 erhält sein malerisches Schaffen in den letzten Jahren aber wieder grössere Aufmerksamkeit.
Im Aargauer Kunsthaus befindet sich dank des Depositums der Sammlung Andreas Züst ein umfangreiches Werkkonvolut von Bruhin. Züst, der Sammler, Künstler und Naturforscher mit Hang zum Kuriosen, hegte ein besonderes Interesse für den Grenzgänger Bruhin und sein vielschichtiges, ja ausuferndes Schaffen. Neben den rund fünfzig Nummern aus der Sammlung Züst beherbergt die Kunsthaussammlung ausserdem einige druckgrafische Arbeiten, vier Zeichnungen aus der Serie der „Kalligraphien“ (1977) sowie vier „Schönheiten“ (1979/80). Ähnlich wie aus dem Allover von Bildzeichen in den „Kalligraphien“ spricht auch aus den farbintensiven Frauenporträts Bruhins Interesse am Uniformen. Dargestellt sind auf die wichtigsten Gesichtszüge reduzierte Brust- und Kopfstücke von Frauen, zusätzlich betont durch die signalartige Farbgebung einzelner Partien: grüne Lippen und orange Brauen zu olivgrüner Haut, ein tiefblauer Teint zu knallroten Lippen und pechschwarzem Haar oder grüne Haare zu einem himbeerfarbenen Gesicht vor orangenem Hintergrund. Noch intensiver ist die Farbkraft in der zehnteiligen Serigrafie, die Bruhin auf Grundlage der Zeichnungen schuf und die ebenfalls in der Sammlung vertreten ist („Schönheiten“, 1980, Inv.-Nr. DSZ1416). Zeigt sich in den Gouachen die Farbtextur gut sichtbar und mindert damit die Strahlkraft, so zeichnen sich die Drucke durch eine für das Siebdruckverfahren typische knallig-satte Tonalität aus. Auch konzeptuell ist es wohl nicht zufällig, dass Bruhin die Schönheiten drucktechnisch multipliziert. Es geht ihm nicht um den individuellen Charakter von Schönheit, sondern vielmehr um Typen, die von der Massenkultur als schön propagiert werden und in zigfachen Varianten und Vervielfältigungen Eingang in die medialen Kanäle der Schönheitsindustrie finden. Zu diesem Eindruck trägt die grelle „Post-Hippie-Ästhetik“ bei sowie der Hauch von Exotismus, etwa der dunkelhäutigen „Beauty“ oder des „mediterranen Typs“ mit olivfarbener Haut. Bruhin widmet sich nicht nur in diesen Arbeiten dem Kunstgeschmack des Alltäglichen und dessen Auffassung von einem „schönen“ Bild. „Ich stehe auf Kitsch“, zitiert der Verleger Patrick Frey den Künstler, und als wollte die Modeindustrie dem Künstler beipflichten, sollen seine „Schönheiten“ 1981 in der Zeitschriftenwerbung einer deutschen Kosmetikfirma wiederverwertet worden sein.
Yasmin Afschar