Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
X
Sabian Baumann, Selbstporträt, 2003
Aquarell auf Papier, 42 x 29.5 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Sabian Baumann

Was ist schon normal, fragt uns Sabian Baumann (*1962) in ihren_seinen Zeichnungen, Objekten und Installationen immer wieder aufs Neue. Alles und nichts, ist die Antwort. „Normalität“ erachtet Baumann als Ausnahmezustand; als historisch, politisch und sozial geformtes gesellschaftliches Konstrukt, das es kritisch zu hinterfragen gilt. In einer Geste, mit der sie_er vorgegebene Bestimmungen und Grenzen des Geschlechts radikal infrage stellt, ändert Baumann ihren_seinen Vornamen von Sabina in Sabian, was weiblich und männlich zugleich klingt. Sie_er beansprucht damit eine bewusst geschlechterunspezifische Form der Subjektzuschreibung. Neben ihrer_seiner Tätigkeit im Bereich der bildenden Kunst ist Baumann an zahlreichen kollaborativ organisierten, queer-feministischen Projekten beteiligt, in denen soziale Rollen und Geschlechternormen diskutiert werden. Im Aargauer Kunsthaus findet 1998 Baumanns erste Einzelausstellung statt; in der Sammlung befinden sich rund zwanzig Zeichnungen aus jener Zeit und vier weitere Papierarbeiten sowie ein Tonobjekt in Form einer Maske, wie sie charakteristisch ist für das Schaffen um 2006/07.

„Selbstporträt“ nennt Baumann die DIN-A3-grosse Aquarellzeichnung, die auf 2003 datiert. Die vorangehenden Ausführungen lassen ahnen, dass es sich dabei kaum um ein klassisches Porträt im Sinn einer naturgetreuen Wiedergabe des Künstlerkonterfeis handeln kann. Der Titel steht in wackeliger Schulschrift unterstrichen zuoberst auf dem Blatt. Darunter sehen wir eine Abfolge konzentrischer Kreise; einige Radiusstrahlen sind anhand gestrichelter Linien hervorgehoben, und auf den Kreisumrissen und dazwischen tummeln sich Strichzeichnungen in Form von Sternen. Die Komposition erinnert an eine Horoskopzeichnung oder an abstrakte Darstellungen von Sternbildern. „authentischer Kern – spirituelles Selbst“ steht im innersten Kreis, im nächsten dann „Schuld“, „Liebe“, „Unschuld“, „Angst“, „Mut“, „Neid“, und aussen Statements wie „Wissen, Können, Bemühen um soziales Verhalten“ oder nicht minder rätselhaft „Imitation bekannter Labels“. Statt eines Abbilds von sich selbst legt uns Baumann eine Art selbstironisches Persönlichkeitsschema vor. Durch die Kreislinien suggerieren die aufgeführten Attribute eine innere Vernetztheit, und doch muss der Versuch scheitern, die Wörter und Satzfragmente in einen verbindlichen, sinnstiftenden Zusammenhang zu bringen. Die Pseudo-Esoterik wird mit Kommentaren wie „Diverses“ oder „Second Hand“ demaskiert; hinzu kommt die Schreibschrift, die mit Pinsel in Aquarelltechnik zittrig zu Papier gebracht ist und damit kindlich wirkt. Mit Text lässt Baumann hier ein Bild entstehen, das uns auf humorvolle Art und Weise vor Augen führt, welch unstete Grösse das Ich ist, das es zu porträtieren gälte, und es offenbart zugleich, dass jedes Selbstporträt Produkt von Projektionen und normierten Vorstellungen ist.

Yasmin Afschar

X