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Otto Morach, Solothurn bei Nacht; recto: Selbstbildnis mit Blumen, Um 1914
Öl auf Leinwand, 60 x 80 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Hugo Stüdeli, Solothurn Fröhlicherweg 14 4500 Solothurn

Der aus dem Solothurnischen Hubersdorf stammende Otto Morach (1887–1973) besucht parallel zur Sekundarlehrerausbildung die Kunstgewerbeschule in Bern. Während seines ersten Aufenthaltes in Paris 1910/11 entdeckt er die Kunst Paul Cézannes (1839–1906) und Marc Chagalls (1887–1985), die ihn zeitweise stark beeinflusst. Sein Basler Malerkollege Fritz Baumann (1886–1942), der gleichzeitig in Paris studiert, malt in dieser Zeit ein kubistisches Porträt von Morach, das sich ebenfalls in der Aargauischen Kunstsammlung befindet (vgl. Inv.-Nr. 3707).

Während seines zweiten Aufenthaltes 1912–1913 in der Seinemetropole setzt Morach sich intensiv mit avantgardistischen Strömungen, insbesondere mit dem Kubismus und Futurismus auseinander. Er arbeitet im legendären Atelierhaus „La Ruche“, Tür an Tür mit seinen Künstlerfreunden Fritz Baumann und Arnold Brügger (1888–1975), mit denen er im darauf folgenden Jahr nach seiner Rückkehr in die Schweiz an verschiedenen Orten malt. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhindert eine weitere, bereits geplante Reise nach Frankreich.

1918 ist Otto Morach Mitbegründer der Basler Künstlergruppe „Das Neue Leben“, zusammen mit Fritz Baumann (dem Initiator und Wortführer), mit Niklaus Stoecklin (1896–1982) und Alexander Zschokke (1894–1981). Diese Künstlervereinigung setzt sich zu ihrem Ziel, alle damals aktuellen avantgardistischen Strömungen zu fördern – dazu gehört auch das Kunstgewerbe – und trägt damit zur Auseinandersetzung mit dem Dadaismus, dem Kubismus und dem Futurismus in der Schweiz bei. Bis zur Auflösung 1920 nimmt Morach an allen drei Ausstellungen von „Das Neue Leben“ in Zürich, Basel und Bern teil.

Seit 1919 in Zürich ansässig, unterrichtet er bis 1953 an der dortigen Kunstgewerbeschule und setzt sich neben der Malerei besonders mit angewandter Kunst auseinander.

Das 2005 angekaufte Gemälde „Selbstbildnis mit Blumen“, das um 1916 zu datieren ist, entsteht während seines Aufenthaltes in Solothurn und gehört in Morachs Hauptschaffenszeit (zwischen 1914–1918). Eigentlich beabsichtigt er nach Paris zurück zu kehren, doch die politische Lage zwingt ihn, in Solothurn bei seinen Eltern zu bleiben, wo er die freie Maltätigkeit neben Militärdienst und Lehrtätigkeit ausübt. Obwohl Morach unter der Abkapselung vom avantgardistischen Kunstbetrieb in der provinziellen Kleinstadt leidet, gehören die Kriegsjahre zu seinen künstlerisch fruchtbarsten.

Im Selbstbildnis setzt er seine Halbfigur ins Zentrum. Frontal, mit hängenden Schultern und leicht geneigtem Kopf schaut der Künstler aus dem Bild. Die zusammengezogenen Brauen über verschatteten Augen und die geschlossenen Lippen verleihen dem hageren Gesicht einen konzentrierten Ausdruck. Auf der Höhe seines Herzens schwebt ein Blumenstrauss mit Disteln, Enzian und Tulpen, die den Blick auf die kleine, weibliche Rückfigur in der rechten Bildecke leiten. Der Zopf mit der grossen Masche deutet auf ein Mädchen. Trotz Morachs Hinwendung durch seinen leicht schräg gestellten Körper in Richtung des statuettenhaften Mädchens wirken beide Figuren isoliert und treten nicht zueinander in Beziehung.

Ein wolkenverhangener, aufgewühlter Himmel mit einer sich im Sturmwind biegenden Pappel auf einem nach rechts ansteigenden Hügelzug bildet den Hintergrund der enigmatischen Szenerie. Zu dieser tragen die topographisch verschlüsselten Verhältnisse oberhalb des bräunlichen Hügels rechts bei: handelt es sich um ein Wolkengebirge oder eventuell um eine aufragende Felsformation?

Unmittelbar vor der Entstehung des „Selbstbildnisses mit Blumen“, hat der Künstler anhand von Naturausschnitten „kubo-futuristische“ Problemstellungen erprobt. Im Unterschied aber zum Gemälde „Bergsee“ (vgl. Inv.-Nr. 3000) von 1913, auf dem sich die Sonnenstrahlen wie Lichtwellen über die Landschaft ausbreiten, werden hier keine den Futurismus ausmachende Bewegungsabläufe sichtbar gemacht: Trotz des bewegten Himmels und der dynamischen Bildstruktur, die Ausdruck der inneren Erregtheit sind, wirkt alles statisch.

Morach facettiert das Selbstbildnis in kantig gebrochene Flächen, ohne dabei die Lesbarkeit des Bildes ganz aufzulösen. Obschon der Körper des Künstlers in spitzwinklige Kuben und in ein dichtes Lineament aufgeteilt ist, entsteht der Eindruck von Dreidimensionalität durch die Setzung plastischer Schattierungen.
Das Gemälde ist in starken Helldunkel-Kontrasten, mehrheitlich gedämpfte Grau- und kalte Blautönen gemalt, was eine nächtlich-kühle Atmosphäre evoziert. Verhaltene koloristische Akzente finden sich in den zarten Farben der Blütenblätter und im gelben Kleid des Mädchens. Die harten Kontraste folgen keiner einheitlichen Lichtführung, sondern einer willkürlichen Beleuchtung und verleihen den einzelnen, kubistisch aufgesplitteten Volumina etwas Dramatisches. Otto Morach hat sich nicht mit dem analytischen Kubismus der Frühzeit, sondern gleich mit dessen dynamischer Weiterentwicklung, dem synthetischen Kubismus, auseinandergesetzt, wie dieses Gemälde deutlich zeigt.

Auf der bemalten Rückseite des „Selbstbildnisses mit Blumen“ befindet sich ein ungefähr um 1914 entstandenes Stadtbild. „Solothurn bei Nacht“ zeigt eine sich verengende Gassenschlucht, die im Bogen eines Stadttores endet. Dorthin führen alle Fluchtpunkte: Die Fassaden der Bürgerhäuser, die der Maler in kubisch gegliederte Flächen eingeteilt hat wie auch die Splitter des im Zentrum stehenden Brunnens, alles wird der Bildbewegung untergeordnet. Die vibrierende Parallelstrichführung des Pinsels unterstützt die Sogwirkung Richtung Torbogen. Auch diese in kühles Mondlicht getauchte, menschenleere Altstadtgasse strahlt wie das Selbstporträt Einsamkeit aus. Beide Werke können als Auseinandersetzung mit den Gefühlen der Isolation des Künstlers zu diesem Zeitpunkt gelesen werden.

Morach sendet das „Selbstbildnis mit Blumen“ 1918 an die Ausstellung „Selbstbildnisse Schweizer Künstler der Gegenwart“ im Kunstmuseum Winterthur. Man darf daher annehmen, dass er damals darin eine „als gültig erklärte Selbstdarstellung“ (M.-L. Schaller) sieht.

Das Selbstbildnis ist eine optimale Ergänzung unserer kleinen Werkgruppe von Gemälden Otto Morachs, die neben dem bereits erwähnten „Bergsee“ von 1913 eine „Tessiner Landschaft“ von 1928 umfasst.

Mit dem Erwerb dieser Arbeit werden die kubistischen Positionen in der Aargauischen Kunstsammlung um Fritz Baumann, Alice Bailly (1872–1938), Hans Richter (1888–1976) und dem frühen Rudolf Urech-Seon (1876–1959) um ein bedeutendes Werk erweitert.

Corinne Sotzek

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