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Marc Bauer, Sphinx, 1931, 1935/1947, 2014
Kohle auf Wand, Bleistift, Buntstift auf Papier, variabel
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Marc Bauer
Fotocredit: René Rötheli

Für die Ausstellung „Docking Station“, die 2014 im Aargauer Kunsthaus zu sehen war, wurden zwölf Kunstschaffende eingeladen, Werke aus der hauseigenen Sammlung sowie aus jener der Versicherungsgesellschaft Nationale Suisse auszuwählen und in eigenen Arbeiten darauf zu reagieren. Einer von ihnen war Marc Bauer (*1975). Um zwei Sphinxdarstellungen des aus Aarau stammenden Malers Karl Ballmer (1891–1958) entwickelte er eine gezeichnete Bildwelt, die an die Ereignisse in Ballmers Leben zur Entstehungszeit der Gemälde – 1931 respektive 1935/1947 – anknüpft. Bauers Installation, bestehend aus einer Wandzeichnung sowie 13 Arbeiten auf Papier, konnte für die Sammlung des Kunsthauses erworben werden und erlaubt nicht zuletzt auch einen neuen Blick auf das Schaffen Ballmers, das in unserer Institution umfassend repräsentiert ist.

Der Ausgangspunkt von Bauers Arbeit ist sehr oft die Erinnerung – die Erinnerung an die persönliche Vergangenheit, aber auch die Erinnerung an das, was wir gemeinhin “die“ Geschichte nennen. Auch auf den Spuren von Ballmers bewegter Biografie überlagert er die allgemeine und die persönliche Ebene; was Fiktion ist und was wahr, bleibt in der Schwebe. Ballmer, der ab 1922 in Hamburg lebte, sah sich Mitte der 1930er-Jahre mit dem aufkommenden Druck des nationalsozialistischen Regimes konfrontiert. 1937 wurde seine Kunst als “entartet“ beschlagnahmt und der Künstler mit einem Berufsverbot belegt. Ein Jahr später floh er zusammen mit seiner jüdischstämmigen Frau in das Tessin, wo er bis zu seinem Tod zurückgezogen lebte. Auf diese Begebenheiten Bezug nehmend, verbindet Bauer in der raumhohen Wandzeichnung seine zeichnerische Interpretation einer Fotografie von Joseph Goebbels’ Besuch der Ausstellung “Entartete Kunst“ in Berlin mit einer Stadtansicht von Hamburg aus den 1930er-Jahren. Ballmers geliebte Wahlheimat erscheint in Bauers Zeichnung in den dunkelsten Tönen – die Silhouetten der Stadt fliessen regelrecht in die Darstellung der Berliner Ausstellung über. Diese wiederum zeigt, wie Goebbels und seine Begleiter einen Ausstellungssaal mit Gemälden von Emil Nolde (1867–1956) betreten. Goebbels Blick – in Bauers Umsetzung kalt, starr, ja grimassenhaft – kreuzt sich mit jenem von Ballmers Sphinx, die an der Wand daneben hängt. Zweifellos hätte auch dieses Werk Teil der fragwürdigen Ausstellung sein können.

In der Gruppe von Zeichnungen an der gegenüberliegenden Wand entwickelt Bauer eine assoziative Geschichte, die bei den Sphinxdarstellungen beginnt und über die Ausstellungen des Naziregimes bis hin zum Rückzug Ballmers in das Tessin führt. Ein Erzählstrang gilt dabei Ballmers Verbindungen zum Kunsthändler Hildebrand Gurlitt (1895–1956), mit dem er befreundet war und – so bringt es uns Bauers Faktensammlung näher – auch geschäftliche Beziehungen pflegte. Wie es Bauers Arbeiten auszeichnet, vermischen sich nicht nur persönliche und allgemeine Geschichte, sondern auch die zeitlichen Perspektiven: Die Zeichnungsserie endet in der Gegenwart mit dem Hinweis auf die jüngsten Ereignisse – das Vermächtnis der Sammlung von Gurlitts Sohn Cornelius an das Kunstmuseum Bern.

Yasmin Afschar, 2018

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