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Urs Lüthi, Ohne Titel (4-teilig), 1979
Fotografie auf hinter Glas aufgezogen (je 109 x 108), 109 x 432 cm, Fotografie
Aargauer Kunsthaus Aarau

Mit seinen fotografischen Selbstporträts der 1970er-Jahre etabliert sich Urs Lüthi (*1947) als eine Schlüsselfigur der Kunst der Selbstinszenierung. Sein Rollenspiel ist legendär. Als androgyner Jüngling lotet er in männlichen ebenso wie weiblichen Posen Geschlechterrollen und Bilder der Travestie aus; später mimt er mit seiner Partnerin zusammen Herr und Frau Jedermann. Mehrfach kombiniert Lüthi dabei Porträtbilder mit Landschaften oder Interieurs und legt sie als Diptychen, Triptychen oder Bildfolgen an – so auch in der titellosen Arbeit von 1979, die seit 1981 zur Sammlung des Aargauer Kunsthauses gehört. Noch in ihrem Entstehungsjahr findet Lüthis erste Einzelausstellung im Aargauer Kunsthaus statt. Zwei der vier Aufnahmen zeigen Lüthi nackt im Bett in einem Raum, der den Anschein eines Hotelzimmers macht. Dazwischen sind Landschaftsbilder positioniert. Involviert in das Fotoshooting ist Lüthis damalige Partnerin Elke Kilga. Man darf sie als Urheberin der Hotelbilder vermuten, erkenntlich durch die beringte Hand, die in der linken Fotografie nach Lüthis Schritt greift. Diese eindeutig sexuelle Geste steht einer unverfänglicheren Szene gegenüber, die Lüthi aus einer gewissen Distanz zugedeckt im Bett zeigt. Rund um ihn dominiert das schmuddelige Ambiente des Hotelzimmers. Im Kontrast zu den Innenbildern stehen die beiden Landschaftsaufnahmen. Sie zeigen den Blick auf das offene Meer einerseits und eine weite Ebene andererseits – Landschaften, die Projektionsflächen zu bilden scheinen für Sehnsüchte und Wünsche. In der Kombination mit den voyeuristischen Hotelzimmereinsichten stellt sich indes eine eigenartige Atmosphäre irgendwo zwischen Melancholie und Klamauk, Ironie, Entfremdung und Isolation ein.

Setzt Lüthi Anfang der 1970er-Jahre fast ausschliesslich Schwarz-Weiss-Fotografie ein, weitet er ab 1977 sein Repertoire mehr und mehr auch auf die Farbfotografie aus. Bis zur überraschenden Hinwendung zur Malerei um 1980 herrscht sie als Ausdrucksmittel vor. Gemein ist den Arbeiten dieser Werkphase eine grössere Natürlichkeit oder, wenn man so will, Menschennähe, die im Gegensatz steht zu den kontrastreichen Schwarz-Weiss-Bildern und deren künstlichen Isolierung der Sujets. In den Farbfotos ist die menschliche Figur weniger monumental dargestellt. Sie ist eingebettet in ein wiedererkennbares Umfeld und transportiert nicht zuletzt durch die unendliche Trivialität ihrer Handlungen ein Bild von Normalität. Was wir in der Bildfolge aus der Sammlung sehen – Nacktaufnahmen im Hotelbett, intime Dokumentationen kleiner Sexspielchen sowie reichlich dilettantisch ausgeführte Kameraexperimente –, könnte gleichwohl das Resultat privater Schnappschüsse eines Paares auf Reisen sein. Lüthi spielt gezielt mit den entsprechenden Bildsymbolen. Nie geht es dabei aber um ihn, um sein Leben oder gar um private Geheimnisse; es geht um die menschlichen Hinter- und Abgründe der Ereignisse, die das Leben liefert. Lüthi hält uns, wie es der Kurator Wilfried Skreiner sagt, „einen Spiegel vor, in dem wir uns erkennen. Nach der Art, wie wir selbst denken, werden wir ihn verstehen.“

Yasmin Afschar, 2018

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