Öl auf Leinwand, 154 x 235 x 4.3 cm
Das grossformatige Gemälde „Untitled“ (3 x 747) (2018 – 2019) von Francisco Sierra (*1977) zeigt drei sich noch im Bau befindende Flugzeuge in einer grossen Halle. Die riesigen Maschinen sind von einer Ansammlung von Treppen und Gerüsten umgeben, und auch einige winzige Personen sind im dichten Bildgeschehen auszumachen. Mit seinem strengen fotorealistischen Stil ist das Bild für Sierras Schaffen eher untypisch, da der Künstler selten Eins-zu-Eins-Wiedergaben von gefundenem Bildmaterial anfertigt; meist oszilliert sein Werk zwischen Realität und Fiktion und birgt fantastische oder inszenierte Elemente. Für „Untitled“ (3 x 747) nutzte er jedoch eine solche gefundene Vorlage und gab sogar deren Unschärfe genauestens wieder. Die Aufnahme stammt aus einem Buch der Swissair von 1976, das Sierra zufällig in einem Café am Flughafen Genf entdeckt hatte. Darauf abgebildet sind drei Boeings 747 in ihrer Produktionsstätte in Everett, Seattle. Dieser Flugzeugtyp war für mehrere Jahrzehnte das grösste Passagierflugzeug der Welt und gilt als Ikone der modernen Luftfahrt. Beim Anblick der Doppelseite wusste Sierra sofort, dass sie als Vorlage für sein nächstes Gemälde dienen sollte.
Während der Umsetzung des Bildes, die neun Monate in Anspruch nahm, machte sich Sierra viele Gedanken darüber, was ihn an dem Motiv so faszinierte. Das Unterfangen, aus tausenden Einzelteilen in monatelanger Arbeit derart riesige Maschinen zusammenzusetzen und zum Fliegen zu bringen, erschien ihm zusehends absurd und er erkannte Parallelen zur Absurdität seines eigenen Vorhabens, ein bereits als Fotografie existierendes Bild detailgetreu in Malerei zu übertragen. Hinzu kamen zwei autobiografisch geprägte Momente: Im Alter von 17 Jahren entdeckte Sierra die fotorealistische Malerei und setzte sich zum Ziel, diese Technik zu beherrschen. Nicht unkritisch sieht er in ihr eine angeberische Komponente, nämlich so realistisch zu malen, dass sich das Publikum täuschen lässt und meint, eine Fotografie vor sich zu haben. Auch beim Bau eines Flugzeugs respektive beim Wunsch des Menschen, fliegen zu können, kommt dieses Streben nach Perfektion zum Ausdruck. Ein Flugzeug ist schliesslich nicht nur Transportmittel, sondern ebenso Zeugnis für den Erfindergeist und die technischen Fertigkeiten unserer Zivilisation. Weiter berichtet Sierra von einem Traum, den er als Kind nach seinem Umzug von Chile in die Schweiz immer wieder hatte und in dem ein zwischen den beiden Ländern in der Luft stehendes Flugzeug mit einer Leiter vorkam. Der Künstler vermutet, dass diese Begebenheit ihn so stark auf die Abbildung reagieren liess.
Die ungewöhnliche Perspektive – man blickt von schräg oben auf die Maschinen – hat Sierra natürlich ebenfalls entsprechend der fotografischen Buchvorlage wiedergegeben. Einen Eingriff nahm er jedoch beim Bildausschnitt vor: Den linken Rand hat der Künstler näher zu den Flugzeugen gerückt, so dass diese das Gemälde von Kante zu Kante ausfüllen. Eingeklemmt und noch flugunfähig am Boden stehend, lassen diese Giganten der Lüfte ihre majestätische Zukunft erst erahnen.
Bettina Mühlebach