Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
X
Eduard Gubler, St. Sebastian im Schnee mit Selbstbildnis (Im Riedertal), 1917
Öl auf Leinwand, 120.2 x 85.5 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Depositum Sammlung Werner Coninx
Fotocredit: Philipp Hitz

Eduard Gubler (1891–1971) wird in Zürich geboren und verschreibt sich, wie bereits sein Vater und seine jüngeren Brüder Ernst und Max Gubler, der Kunst. Am Lehrerseminar wird er von Emil Anner in die Zeichen- und Radiertechnik eingeführt. Von 1913-16 studiert er an der Kunstgewerbeschule und Hochschule für Kunst in München. Von 1917 bis zu seiner Pensionierung 1953 unterrichtet er als Zeichenlehrer an Zürcher Sekundarschulen. Daneben entwickelt er ein umfangreiches graphisches und malerisches Œuvre. Während sein Frühwerk symbolistische, impressionistische und realistische Züge aufweist, wird er später vor allem mit dem Expressionismus und ab 1918 mit der neuen Sachlichkeit in Verbindung gebracht.

Das Gemälde „St. Sebastian im Schnee mit Selbstbildnis (Im Riedertal)“ kommt als Dauerleihgabe der Werner Coninx Stiftung 2016 in die Sammlung des Aargauer Kunsthaus. Gemalt hat es der Künstler ein Jahr nach seiner Rückkehr aus München im Jahr 1917. Mit seiner Märtyrer-Darstellung greift Gubler ein kunsthistorisch tradiertes, seit dem 5. Jahrhundert beliebtes Bildthema auf. Durch die Verzahnung mit seinem eigenen Selbstbild transferiert er die durch den heiligen Sebastian symbolisierten Themen wie Leid, Schmerz und geistige Standhaftigkeit in seine eigene Zeit. Diese ist damals geprägt vom Eindruck des Krieges und den damit verbundenen Ängsten und gesellschaftlichen Umwälzungen. So lässt sich das Bild in einen Zyklus von Gemälden und Druckgrafiken einreihen, in denen Gubler menschliche Schicksale mittels der expressionistischen Überzeichnung von Form und Perspektive eindringlich zum Ausdruck bringt.

Im Vordergrund des vorliegenden Bildes erkennen wir das Alter Ego von Eduard Gubler: Unsicher und angespannt faltet dieser seine hageren Hände ineinander, runzelt die Stirn, schürzt die Lippen und lässt seinen Blick nachdenklich zu Boden fallen. Die Figur scheint dabei die Szenerie im Hintergrund nicht wahrzunehmen oder bewusst zu ignorieren. Diese zeigt den an einen Baum gefesselten, von Pfeilen durchbohrten heiligen Sebastian. Festgehalten ist der Moment der befohlenen Hinrichtung durch den römischen Kaiser Diokletian. Was wir dem Bild nicht entnehmen können, ist die Tatsache, dass der römische Soldat Sebastian, der aufgrund seines öffentlichen Bekenntnisses zum Christentum zum Tod verurteilt wurde, die Pfeileinschüsse überleben und somit als Sieger aus der Geschichte hervorgehen wird.
Im Gegensatz zu bekannten frühneuzeitlichen Darstellungen des Sankt Sebastians zeigt Gubler kein verherrlichendes Heldenbild. Anders als etwa bei Antonello da Messina (1429/30–1479) oder Guido Reni (1575–1642) schauen wir nicht auf einen schönen, kräftigen Jüngling, der seinen Blick wach und tapfer gegen den Himmel richtet. Bei Gubler werden wir mit dem schonungslos stillen Leiden konfrontiert – bildgeworden in einem ausgehungerten, entkräfteten, vom Tod bereits vorgezeichneten Körper. Des Weiteren verfrachtet der Maler die Szenerie aus ihrer originär vorchristlichen, mediterran römischen Landschaft in die eisig verschneite Berglandschaft des Urner Riedertals. Der Maler kennt das Tal aus seinen eigenen Kindheitsurlauben und entdeckt es ab 1905 mit seiner eigenen Familie erneut. Der Künstler holt die Geschichte des Heiligen Sebastian damit nicht nur in seine eigene Zeit, er verortet die Überwindung von Schmerz und Leid auch in seiner ganz persönlichen Lebenswelt.

Julia Schallberger, 2024

X