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Christine Streuli, Ich lieb Dich, ich lieb Dich nicht..., 2004
Acryl und Lack auf Baumwolle, 255 x 360 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Christine Streuli
Fotocredit: Jörg Müller

Obwohl einem immer wieder Malerinnen und Maler in den Sinn kommen, mit deren Werken man die Bilder von Christine Streuli (*1975) in einer imaginären Malereiausstellung in einen Dialog setzen möchte, sind ihre Malerei und ihre Bilder unverwechselbar. Es wären Maler (nicht nur zeitgenössische) der abstrakten – der man sie prima vista eher zurechnen möchte – ebenso wie der figurativen Richtung – der sie sich, wie man aus ihrem Sprechen über Malerei heraus zu hören meint, enger verbunden zu fühlen scheint. Und wenn wir ihrem grossen Gemälde erst mal wie einem abstrakten begegnen, so reizt es doch auch zu einer inhaltlichen Lesart – was für die Malerin in Ordnung gehen dürfte, auch wenn ihre bildnerische Intention gewiss nicht in diese Richtung zielte. Am Anfang stand eine Bildidee, die in Malerei umgesetzt werden wollte, und gewiss nicht die Absicht, eine Idee mit einem Bild zu illustrieren. Der Titel hilft nicht weiter, er führt zuerst mal von der alleine visuellen Beschäftigung mit dem Bild weg – auf dass wir der Malerei nochmals von einer anderen Richtung her begegnen mögen.

Die Malerin möge mir verzeihen, dass ich ihr Bild kurz zerlege. Obwohl viele Entscheide sicher erst auf der Leinwand gefällt werden, sind ihre Gemälde immer gut begründet, also die Richtung weisend bereits grundiert. Der Bildgrund wirft dabei quasi seine Schatten voraus, darauf reagiert oder antwortet das Geschehen an der Oberfläche. Die horizontale Teilung des Grundes legt mir eine landschaftliche Lektüre des Bildes nahe: über einem erdfarbenen Grund unten in derselben tonigen Farbe wolkige Gebilde oben – nicht als freie Komposition, sondern offensichtlich aus Schablonen generiert. Sie antworten sich, wie so oft in dieser Bildwelt, Rorschachtest-artig. „Wüst und öde“ kommt mir diese Landschaftsallusion unten vor: und erinnert damit an das Ungeordnete des ersten Tages (so die lutherische Übersetzung des hebräischen Tohuwabohus am Beginn der Genesis). Darüber wieder sich à la Rorschachtest entsprechende blaue Wolkenformationen. Darunter und darüber, oben und unten verbindend, die drei das Öde und Wüste konterkarierenden – also: durchkreuzenden – festlich bunten Banderolen. Auf dieses Widersprüchliche, gleichzeitig Ernste und Heitere, spielt auch der Titel an, auf den scheinbar spielerischen Umgang von jungen Verliebten mit der schweren, über Glück und Unglück entscheidenden Frage. Aber Streuli biegt die ängstliches Herzklopfen bereitende Frage, ob er sie denn liebe, listig um in eine Provokation. Wir nehmen Rémy Zauggs Schrift am Kunsthaus ernst – „Ich/Das Bild/Ich/Sehe“ – und gehen also davon aus, dass mit diesem Titel das Bild zu uns, den Betrachtern, spricht: so wie sich in ihm das wüst Öde mit barock üppiger Festlichkeit verbindet, so zieht es uns mit seiner sinnlichen Attraktivität an, um uns im nächsten Moment wieder auf Distanz zu halten. Immer wieder arbeitet Streuli in ihrer Malerei mit solchen tatsächlichen oder angeblichen Gegensätzen.

Bereits 2003 erwarben wir für unsere Sammlung ein erstes Bild der jungen Künstlerin, das in der Eröffnungsausstellung des erweiterten Kunsthauses gut beachtet wurde. Das Bild „Ich lieb Dich, ich lieb Dich nicht…“ gehört zu ihren ersten Gemälden in einem solch grossen Format: Es entstand für eine Ausstellung im Kunstmuseum Bonn, zu der sie Anfang 2005 eingeladen wurde. Als sie es im letzten Sommer in Basel in der Ausstellung des Eidgenössischen Wettbewerbs für Kunst und des Kiefer Hablitzel Preises zeigte (und dafür mit beiden Stipendien ausgezeichnet wurde), gehörte es bereits unserer Sammlung. Hier, um auf den Anfang zurück zu kommen, zeigen wir die Malerei von Christine Streuli jeweils mit Werken von Pia Fries (*1955), Albrecht Schnider (*1958), Arnold Helbling (*1961) und anderen. In dieser Werkgruppe mit zeitgenössischer Malerei erkennen wir das richtige Umfeld für die Bilder von Christine Streuli, die sich darin hervorragend behaupten, auch wenn nicht zu verkennen ist, dass hier eine neue Maler-Generation am Werk ist.

Beat Wismer

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