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Robert Müller, Aaronstab, 1958
Assemblage, Eisen geschmiedet und getrieben, 163 x 44 x 52 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: ProLitteris, Zürich

Robert Müller (1920–2003), der im Aargauer Kunsthaus mit einer Vielzahl von Arbeiten aus allen Schaffensphasen und Werkgattungen vertreten ist, gehört wie Jean Tinguely (1925–1991) und Bernhard Luginbühl (1929–2011) zu den Protagonisten der in den 1950er- und 1960er-Jahren hochaktuellen und international viel beachteten Schweizer Eisenplastik. In Zürich aufgewachsen und dort von Germaine Richier (1902–1959) und Otto Charles Bänninger (1897–1973), seinen Nachbarn, in die Bildhauerei eingeführt, lässt er im Frühwerk – Porträtköpfe und üppige Frauenakte – seine künstlerische Herkunft noch deutlich erkennen. Reisen nach Italien und ein längerer Aufenthalt in Genua leiten dann einen Wandel ein, der 1949 mit der Übersiedlung nach Paris neue Nahrung erhält. Wichtig sind namentlich die Wiederbegegnung mit Richier, die neuerliche Beschäftigung mit dem schon früher dank Zeitschriften wie „Minotaure“ und „Labyrinthe“ entdeckten Surrealismus und der Entscheid, in einer der letzten Schmieden der Stadt das Schmiedehandwerk zu erlernen. In der Folge tut sich Müller während anderthalb Jahrzehnten mit Assemblagen aus Eisen und Alteisen hervor, die vom Kunstbetrieb – vorbereitet durch Julio Gonzáles (1876–1942) – sogleich absorbiert werden. In dichter Kadenz erhält er Ehrung um Ehrung und beschickt mit seinen Werken wegweisende Ausstellungen weltweit.

Aus der Frühzeit dieser Erfolge stammt der mächtige „Aaronstab“, eine vegetabile Plastik, die im „Rittersporn“, einer 1966 in die Sammlung des Hirshhorn Museum and Sculpture Garden nach Washington gelangten gedrungenen Version, noch ein Gegenstück hat. Er besteht aus getriebenem und geschmiedetem Eisen und weist im Unterschied zu weiteren Werken desselben Schaffensabschnitts noch keine Fundstücke technischen Ursprungs auf. Die Einzelteile sind entlang einer Vertikale so zusammengeschweisst, dass die mehrheitlich konvexen Elemente sich am Kopfende zu der im Titel genannten organisch-pflanzlichen Form verbinden. An Kolben und Fruchtstand erinnernd, kontrastieren sie mit bedrohlich spitzen Partien und führen damit das Prinzip der Verschmelzung von weichen und latent aggressiven Komponenten fort, das sich bei Müller bereits 1953 beobachten lässt und auf die surrealistisch geprägte, auch von Alberto Giacometti (1901–1966) thematisierte Dualität von Liebe und Lust, Gewalt und Tod zurückgeführt werden kann. Kaum zufällig also handelt es sich beim Aronstab – wie auch beim Rittersporn – um hochgiftige Gewächse, die beide überdies doppelgeschlechtlich sind, denn Müllers plastisches wie grafisches Schaffen bleibt von dieser Ambivalenz des Eros, der seine Exaltation, aber auch seine Verkehrung und Negierung immer schon in sich trägt, stets durchdrungen. Dieses zeitlose Thema, das jede Generation auf ihre eigene Weise angeht, unterscheidet ihn als Eisenplastiker denn auch grundlegend von den Ansätzen seiner Zeitgenossen aus dem Umkreis der Nouveaux Réalistes und macht ihn zu einem wichtigen Mittler zwischen figürlicher Moderne und den Avantgarden seiner Zeit.

Astrid Näff

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