Öl auf Leinwand, 65 x 95 cm
Der gebürtige Wädenswiler und Wahlmünchner Johann Gottfried Steffan (1815–1905) wird in der Schweiz und in München, wo er ab 1833 lebt, zum Lithografen ausgebildet. Ab 1840 wendet er sich unter dem Einfluss Carl Rottmanns (1797–1850) der Landschaftsmalerei zu und findet früh zu seiner künstlerischen Sprache, die sich bis ins hohe Alter kaum mehr ändert. Die bayrische Hauptstadt entwickelt sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts von einer bescheidenen Residenzstadt zu einer Grossstadt und zu einer der lebendigsten Kulturmetropolen Europas. Bereits nach kurzer Zeit wird Steffan Mittelpunkt der in München ansässigen schweizerischen Künstlerschaft und erarbeitet sich den Ruf eines bedeutenden Landschaftsmalers. Zu Lebzeiten ist er ausserordentlich erfolgreich – zu seinen Käufern zählen bürgerliche Sammler und Vertreter des Hochadels aus ganz Europa. Heute ist sein Œuvre fast unbekannt und weitgehend unerforscht.
„Am Walensee“ eröffnet dem Betrachtenden den Ausblick auf einen See. Von links schiebt sich die leicht abfallende, felsige Uferzone bis in die Mitte des Bildvordergrundes. Typisch für den Künstler verhindern Bäume im Vordergrund eine freie Sicht – und zeichnen sich in ihrer dunklen Tonigkeit vom hellen, von Wolken überzogenen Himmel ab. Auf der Landzunge ist eine Figur von hinten zu erkennen, deren Blick über den See zu den beiden Segelbooten See schweift. Hinter der Seenlandschaft erhebt sich ein teilweise von leichtem Gewölk bedeckter Gebirgszug.
Ab den 1850er-Jahren widmet sich Steffan ausschliesslich dem Thema der Schweizer Alpen und Seen. Obwohl ihn der Erfolg des Genfer Landschaftsmalers Alexandre Calame (1810–1864) anzuregen scheint, wehrt sich Steffan gegen die Bezeichnung seines Malerkollegen Rudolf Koller, er sei der „deutsche Calame“. Vielmehr verortet Steffan seine Vorbilder in den idyllischen Veduten der Schweizer Kleinmeister des 18. Jahrhunderts, den Begründern des realistischen Landschaftsbildes. Neben dem Motiv des Gebirgsbaches zählen Seen – insbesondere der Walensee – zu den beliebtesten Sujets in Steffans Œuvre. Im vorliegenden Werk greift Steffan auf das Gemälde „See mit Schiffen“ und „Uferlandschaft“ von 1857 zurück. Der Künstler hält sich an die frühere Komposition – der Blick des Betrachtenden wird von der Staffagefigur über die Segelboote in die Bildtiefe geführt –, arbeitet aber die Uferlandschaft mit Felsen und Steinblöcken im Bildvordergrund noch naturalistischer aus. Ihm gelingt so eine malerisch intensive Stelle, die sich in ihrer Qualität vom routinehaft gemalten Himmel und von der Wasseroberfläche unterscheidet. Die Staffagefigur, eingebettet in einen stimmungsvollen Naturausschnitt, übermittelt dem Betrachtenden ein Gefühl von Ruhe und lädt zum Verweilen ein. Steffan strebt nicht nach dem Festhalten des Momentanen, sondern nach der Abgeschlossenheit eines vollendeten Arrangements.
Ausgehend von seinen kompositorischen Fähigkeiten entwickelt Steffan einen äusserst genauen Naturalismus – bereits seine Skizzen gleichen finalen Werken und belegen sein auf Objektivität bedachtes Vorgehen. Die Natur ist ihm eine unbegrenzte Quelle idyllischer Motive, die im Ausland als Klischee einer schweizerischen Nationalkunst aufgefasst werden. Er bleibt zeitlebens ein begabter Maler und brillanter Techniker auf hohem qualitativem Niveau, aber das Verdienst, die Landschaftsmalerei in München und in der Schweiz zu erneuern, kommt seinen jüngeren Künstlerfreunden zu. In den 1870er-Jahren findet er zu einem formelhaften Stil, dem er verhaftet bleibt und der ihn schliesslich von den avantgardistischen Tendenzen der Zeit ausschliesst.
Karoliina Elmer