Öl auf Leinwand, 189 x 221 cm
Eine Vase mit Schnittblumen… Wie originell kann ein solches Motiv in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch sein? Bei Markus Müller (*1943), einem der Begründer der inzwischen legendären Aarauer Ateliergemeinschaft Ziegelrain, liegt die Antwort in der zeitlichen Einbettung: Gemalt hat der Künstler das Bild mit dem fast schon selbsterklärenden Titel „Blumenstrauss“ im Jahr 1970. Vorangegangen sind ihm stilistisch verwandte, inhaltlich aber deutlich mondänere Darstellungen von Sportwagen oder auch Nahansichten von Körpern in Badehosen und Bikinis. Wenig später wendet sich Müller Dingen wie Offset-Folien und pneumatischen Hüllen sowie neuen Praktiken wie Installationen und Happenings zu. Das Blumenmotiv proklamiert er programmatisch als sein letztes Bild.
Auch wenn die Abkehr vom Malen sich später als befristet erweisen wird, markiert das Werk also einen wichtigen Wegpunkt. Seine reine, leuchtende Farbigkeit teilt es mit den zuvor entstandenen Bildern, ebenso die plakative Ästhetik. Erstere lässt an ein Ziel der Moderne denken: die Befreiung der Farbe bis hin zur kompletten Autonomie. Letztere widerspiegelt ein wichtiges Merkmal der Mitte der 1960er-Jahre auch in der Schweiz angekommenen Pop Art: die Ikonisierung des Gegenstands durch Vereinfachung und Verflachung. Plakativ und ikonisch wirkt das Bild aber auch durch seine Monumentalität. Um ein Vielfaches vergrössert – der Faktor liegt etwa bei 1:5 – wächst der Blumenstrauss wie ein Billboard-Motiv in den Himmel. In diesem Akt des In-den-Himmel-Hebens liegt für Müller eine gewisse Ambivalenz. Zum einen sieht er darin eine Hommage an die Malerei, angelegt in der explizit traditionellen Machart des Bildes. So steht am Beginn des Prozesses ein realer, von einem Atelierbesucher in die Höhe gehaltener und vom Künstler so fotografierter Blumenstrauss, der später von einem Schwarzweissabzug mit Hilfe eines Bleistiftrasters in ad hoc getroffener Farbwahl ins Grossformat übertragen worden ist. Auch die Vorliebe für Ölfarbe weist in diese Richtung: Er habe, so Müller, nur selten und ungern in Acryl gemalt.
Zum andern hallt die bereits zitierte Ansage des Künstlers nach, es handle sich um sein letztes Bild. Von einem gewissen Überdruss ist die Rede, von einer ironischen Überhöhung dieses klassischen Motivs. Aus diesem Blickwinkel erscheinen die Gerbera und Tulpen in ihrer floristischen Normalität fast noch alltäglicher. Zugleich bewirken die grossen und dank der Untersicht noch prominenteren Blüten in Rot, Gelb und Orange, das Grün der Blätter und das Blau des Himmels eine geradezu mokante farbtheoretische Zuspitzung. Selbst wenn die glatte, duktuslose Malweise von Müllers Pop-Phase partiell schon aufgegeben ist und die Blüten gar Modulierungen aufweisen, gilt daher noch immer, was die Kunstpublizistin Annelise Zwez schon 1974 schrieb: dass es wohlverstanden nicht um die Blumen, sondern vielmehr um die – zufallsfreie – Darstellung einer gestellten Ordnung geht.
Astrid Näff, 2022