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Martin Disler, Denkmal für toten Fixer (Singer of Nothing), 1985/87
Holz, Plastik, Gipsbinden, Tierhaare, Asche, Klebestreifen, 180 x 135 x 75 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung Kraft Basel
Copyright: Irene Grundel, Grenaa (DK)

In Seewen (Kanton Solothurn) wächst Martin Disler (1949–1996) in einem behüteten Umfeld auf. Nach dem Abschluss des Gymnasiums arbeitet er während sechs Monaten als Hilfspfleger in der psychiatrischen Klinik Rosegg. Die Erlebnisse in der Klinik verarbeitet der Jugendliche in autodidaktischen Malereien und Gedichten. Diese Werke stellen den Beginn seiner künstlerischen Laufbahn dar. Die Gemälde und Zeichnungen aus dieser Zeit sind charakterisiert durch grosse Formate und zügig aufgetragene Acrylfarben, die Motive sind klar erkennbar, überraschen aber durch ihre Kombinationen. Als späterer Assistent in einem Kellertheater in Olten und als Dichter, wendet sich Disler ab 1970 vermehrt der Sprache zu, ab dem Anfang der 1980er-Jahre schliesslich auch der Druckgrafik.

Nach der Scheidung von der Malerin Agnes Barmettler (*1945) im Jahr 1977, mit welcher er ab 1970 in Solothurn ein Atelier betrieben hat, zieht Disler 1978 nach Zürich. Er verlegt sein Atelier in die Rote Fabrik, ein „alternatives Kunstzentrum“, wo er in Nachbarschaft zur bekannten Kuratorin Bice Curiger (*1948) arbeitet. Zusätzlich zu Malerei, Grafik und Dichtung entstehen ab Mitte der 1980er-Jahre dreidimensionale Werke. Die Skulpturen bedeuteten für Disler eine „konsequente Fortführung seiner Mal-, Zeichen- und Druckprozesse“. Sie können auch gelesen werden als Sinnbild für das neue Lebensgefühl einer Schweizer Künstlergeneration der 1980er-Jahre, die – ähnlich wie in Deutschland – sich gegen die traditionelle Kunst auflehnt. Die skulpturalen Arbeiten verbildlichen aber insbesondere auch den Menschen in seiner Zerrissenheit und Verwundbarkeit: Disler beschäftigt sich mit der Drogenszene und den Zürcher Jugendunruhen. Seine Skulptur „Denkmal für toten Fixer“ im Aargauer Kunsthaus zeigt mit Holz, Plastik, Gipsbinden und Tierhaaren die ganze Verletzlichkeit und Hoffnungslosigkeit dieser Menschen. Neben Klaudia Schifferle (*1955), Leiko Ikemura (*1951) oder Josef Felix Müller (*1955), reiht sich Disler damit zu den „jungen Wilden“, welche Arbeiten kreieren, die schockieren: Expressiv umgesetzte Werke zu kräftigen Themen wie Körperlichkeit, Sexualität, Angst oder Bedrohung.

„Denkmal für toten Fixer“ gehört zu einer Gruppe von elf weiss gestalteten Skulpturen, in denen der Künstler verschiedene Materialien verwendet, die durch Gipsstreifen in akrobatischem Balanceakt miteinander verbunden sind. Die Namen lauten unter anderem „Saat des Todes“, „Denkmal für toten Fixer“, „Krieg“, „L’ultima partenza“ und „Trauer“. Disler kommentiert die Werke: „… Die Skulpturen (meine Sprache, um die Toten anzusprechen) – Lichtgestalten in der dunklen Nacht (Vorboten meiner Freiheit und Mitinsassen meiner Zelle) – das sind die vielen Dimensionen, die zusammenkommen, um das Licht auf ihrer Haut zu tragen, das die mikroskopische Natur der Seele erreichen würde…“

Die späteren Bilder Dislers lassen immer weniger figurative Motive erkennen, auch wenn der Künstler die Figuration nie ganz aufgeben wird. Das plastische- und malerische Schaffen führt immer enger zueinander. Disler ertastet und formt seine Bilder nach eigener Aussage „ganz körperlich, in einem Prozess kontinuierlicher Verdichtung“. Der Künstler trägt die Farbe mit Pinsel, Händen und Fingern auf, um sie dann mit dem Messer wieder abzunehmen, vergleichbar der Arbeit an einer Plastik.

In den letzten fünf Jahren seines Lebens wird das Schreiben zu einer zentralen Beschäftigung. Insbesondere im Roman „Bilder vom Maler“ (1980) wird die ausserordentliche Sprachkraft Dislers deutlich. In diesem Buch, welches im Stil eines Tagebuches aufgebaut ist, schildert Disler die künstlerische Existenz in einer Sprache, die Verausgabung und Exzess spiegelt und damit sehr eng verwandt ist mit seinen anderen Ausdrucksmedien.

Bis zu seinem Tod im Jahre 1996, lebt Disler unter anderem in Zürich, Amsterdam, Lugano, Samedan, Mailand und zuletzt in Les Planchettes im Schweizer Jura. Im Alter von 47 Jahren stirbt er an den Folgen eines Hirnschlags. Erste internationale Aufmerksamkeit erreicht Disler mit seiner Ausstellung „Invasion durch eine falsche Sprache“ in der Kunsthalle Basel 1980, danach folgen Ausstellungen in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Brasilien und den USA. Sein Werk ist unter anderem auch an der Documenta VII in Kassel vertreten.

Christian Herren

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