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Caspar Wolf, Der Rhonegletscher von der Talsohle bei Gletsch gesehen, 1778
Öl auf Leinwand, 54 x 76 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung der aargauischen Banken

Ein wichtiger Schwerpunkt der Sammlung des Aargauer Kunsthauses bildet die umfangreiche Werkgruppe von Caspar Wolf (1735–1783). Sie lässt uns die Entwicklung der Malerei von der Aufklärung bis zur Moderne anhand eines für die Schweiz typischen Motivs nachvollziehen: Die Darstellung des Bergs erschliesst sich im Aargauer Kunsthaus ausgehend von Caspar Wolf über die heroischen Landschaften Alexandre Calames (1810–1864) und François Didays (1802–1877) bis zu Ferdinand Hodler (1853–1918).

Das Werk eröffnet den Blick auf eine Gebirgslandschaft mit einer immensen Gletscherzunge. Im schattigen Bildvordergrund sitzen am linken Bildrand zwei Figuren auf einem Stein, begleitet werden sie von einem Hund. Die Person im roten Rock – es ist der Maler selbst – richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Bergansicht, die sich vor ihnen auftut. Ihr Begleiter scheint sich weniger für die Aussicht zu interessieren und wendet sich von ihr ab. Ein kleines Stück des steinigen Talbodens ist sichtbar, bevor sich der mächtige Gletscher vor dem Betrachter erhebt. Seiner Zunge folgend wird der Blick in die Tiefe zum eigentlichen Ursprung des Eisflusses geführt. Die Berge sind in grünlich-bräunlichen Tönen gehalten. Der abschliessende blaue Himmel wird teilweise von Wolken überdeckt.

1773 macht Wolf Bekanntschaft mit dem Berner Buchdrucker und Verleger Abraham Wagner (1734–1782), der in Wolf den geeigneten Maler für seine geplanten Stichreihe über die Schweizer Alpen findet. Folglich schafft Wolf von 1774 bis 1777 für seinen Auftraggeber rund 200 Alpenbilder, die im „Wagnerischen Gemälde-Cabinett“ in Bern und anschliessend in Paris präsentiert werden. Einige Werke bilden Vorlagen für die von Wagner herausgegebenen Stichfolgen „Merkwürdige Prospekte aus den Schweizer-Gebürgen und derselben Beschreibung“ (Bern 1776/77) bzw. für „Vues remarquables des montagnes de la Suisse avec leur Description“ (Bern 1780–1782) und für die „Alpes Helvetivcae“ (Bern 1777).

Vor Wolf konzentrieren sich die Landschaftsmaler auf die Darstellung der idyllischen Voralpenwelt. Wolf ist der erste Künstler, der sich in das Gebirge vorwagt und die Berge von der blossen Hintergrundkulisse zum bildwürdigen Gegenstand erhebt. Neu ist die Tatsache, dass der Maler die abgebildete Landschaft tatsächlich selbst erlebt hat und somit seine konkrete Erfahrung in bis anhin unbekanntem Naturalismus wiedergibt. Wolfs Zeitgenossen bewundern ihn für seine Naturtreue, und seine Bilder legitimieren die Naturbeobachtung in der Malerei. Wolf erlangt zwar Bekanntheit, seine Art der Naturauffassung entspricht aber nicht dem Publikumsgeschmack. Bei seinem Tod 1783 ist er verarmt und als Maler in Vergessenheit geraten.

In den Bergen ist Wolf jeweils nicht alleine unterwegs, sondern in Begleitung hervorragender Wissenschaftler wie Abraham Wagner und Samuel Wyttenbach (1748–1830) – ein Umfeld geprägt durch die Gedanken des Universalgelehrten Albrecht von Haller (1708–1777), dessen wegweisendes Gedicht Die Alpen zeitgleich mit dem Beginn des naturwissenschaftlichen Interesses an der Gebirgswelt und der einsetzenden touristischen Begeisterung für die Alpen entsteht. Aufgrund von Wagners Auftrag ist Wolf verpflichtet, die Landschaft topografisch genau zu erfassen. Somit dienen seine Werke heute wegen ihrer Detailfreude der Untersuchung von topografischen Veränderungen in den Alpen; insbesondere das Schmelzen der Gletscher wird eindrücklich nachvollziehbar.

Zahlreiche von Wolfs Bergbildern werden um 1800 in holländischen Privatbesitz verkauft und geraten in Vergessenheit. Erst 1940 werden die Gemälde wiederentdeckt und 1947 dank des Engagements des Kunstsammlers Willi Raeber in die Schweiz zurückgeführt. Die Übersichtsausstellung 1948 im Aargauer Kunsthaus – Anlass für die Erwerbung von Wolfs umfangreicher Werkgruppe – positioniert den Künstler als wichtigen Vertreter der vorromantischen Landschaftsmalerei: Ab 1980 wird sein Œuvre in wissenschaftlich fundierten Ausstellungen und Publikationen aufgearbeitet, die Wolfs Position in der Geschichte der Schweizer Kunst weiter festigen.

Karoliina Elmer

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