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Gillian White, Die Tanzenden, 2002
Cortenstahl (Platten verschweisst zu Vierkantprofilen), 2 Teile, gesamt 320 x 500 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Fotocredit: Brigitt Lattmann

Bei Eisen- und Stahlplastik denkt man sofort an schwere, ausladende Arbeiten, an Walzwerke und Schweissgeräte, Tieflader und Kranwagen-Ballett. Spontan fallen einem vielleicht auch grosse Namen wie Serra, Andre, Chillida, di Suvero oder auch Tinguely, Luginbühl und Licini ein. Nur selten trifft man dagegen auf Frauen. Eine von ihnen ist die seit 1966 in der Schweiz lebende britische Plastikerin Gillian White (*1939). Schon ihr Studium in London und Paris ist von der Nähe zu Neuerern der Bildhauerkunst geprägt, allen voran Anthony Caro (1924 – 2013). Die von dieser Plastikergeneration vollzogene Abkehr vom Figürlichen wird auch für White zunächst bestimmend, obschon der Mensch – über seine Mythologien oder kulturellen Errungenschaften – selbst in ihren abstraktesten Arbeiten noch immer mitzudenken ist. In monumentalen Plastiken und Grossprojekten, die sie anfangs zuweilen auch noch gemeinsam mit ihrem Mann Albert Siegenthaler (1938 – 1984) realisiert, ergründet die Künstlerin die Wirkung einfacher, rhythmisch gesetzter Volumina. Aufstellung finden diese zumeist in naturnaher Umgebung, wodurch das industriell Rohe des Cortenstahls, der Holz und Polyester um 1980 ablöst, im Zusammenspiel mit einer gewissen Archaik der Form besonders zur Geltung kommen kann.

Cortenstahl mit seiner samtenen, durch Wässern gezielt erzeugten Patina, unter der trotz des Rosts kaum noch Korrosionsprozesse ablaufen, bleibt auch die erste Wahl, als sich Whites Formenkanon um 2002 zu verändern beginnt. Ihre kippenden Stelen und gestuften Kreise, die ihre Apotheose in Ausstellungen wie der Eisen ’89 in Dietikon feierten, machen Werken von einer neuen Bewegtheit Platz, die – mitgelenkt durch die Werktitel – deutlich antropomorpher wirkt. Insbesondere entstehen diverse Tanzende, deren Geneaologie sich im Essay von Jochen Hesse im Katalog der Oltener Ausstellung Tanz in Eisen nachlesen lässt. Zu ihnen zählt auch die hier besprochene zweiteilige Plastik, die in drei verschiedenen Höhenvarianten existiert (233 cm, 268 cm, 320 cm) und deren grösste direkt von der Künstlerin erworben werden konnte. Ursprünglich Teil von Accordez-moi cette danse (2002), Whites Beitrag zur 8. Triennale der Skulptur in Bex, war sie seither in verschiedenen Kontexten zu sehen und hat nun im Aarauer Rathausgarten ihren bleibenden Standort gefunden.

Unweit von Siegenthalers Sweet, Sweet Chapel, No Wedding II (1973) und dem Gemeinschaftswerk Das Südtor (Paradise Lost) (1980) fügt sie sich dort im Schatten einer Baumgruppe zu einem Tanzpaar, das einander nicht mehr zugewandt ist wie in Bex, sondern fröhlich Seite an Seite auftritt.

Der zu mehrfach geknickten Vierkantprofilen verschweisste Stahl, der auch im Querschnitt überall trapezförmig abgeschrägt ist, streift dabei jede Materialschwere ab und setzt ein munteres Spiel aus vollen und durchbrochenen, vor- und rückspringenden Formen in Gang. Viele erkennen in dieser Munterkeit die Künstlerin selbst. Und tatsächlich schliesst sich mit den Tanzenden auch biografisch ein Kreis, hat Gillian White vom 10. bis zum 15. Lebensjahr doch wie zuvor schon ihre ältere Schwester ein Tanzinternat, die renommierte Elmhurst School of Ballet in Camberley, besucht.

Astrid Näff

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