Öl auf Leinwand, 60.5 x 124.5 cm
Zu den herausragendsten Werkzyklen der Kunstgeschichte zählt die 18 Gemälde und rund 120 Arbeiten auf Papier umfassende Porträtserie, die Ferdinand Hodler (1853 – 1918) im Januar und Juni 1914, vor allem aber ab November 1914 bis Januar 1915 von seiner an Krebs erkrankten Geliebten Valentine Godé-Darel schuf. Aussergewöhnlich ist dabei nicht so sehr der Wunsch, das Andenken an einen wichtigen Menschen bildlich zu bewahren. Von der Totenmaske bis hin zum Totenbildnis im probaten Medium der Fotografie gibt es dafür zahllose Beispiele und auch Hodler selbst hatte dem Tod schon wiederholt ins Auge geblickt, unter anderem 1909, als er die sterbende und tote Augustine Dupin, die Mutter seines Sohnes Hector, malte. Einzigartig sind vielmehr die Dauer, Intensität und Empathie der Beobachtung sowie die Verbindung aus persönlicher Betroffenheit und der selbst dem Todeskampf nicht ausweichenden künstlerischen Insistenz.
Hodler hatte die damals 35-jährige Valentine Godé-Darel wohl 1908, kurz nach ihrer Scheidung und ihrem Umzug von Paris nach Genf, kennengelernt. Er porträtierte sie mehrfach, und sie stand ihm auch für die Werkfolgen „Linienherrlichkeit“ und „Fröhliches Weib“ Modell. Als im November 1913 die gemeinsame Tochter Paulette zur Welt kam, hielt Hodler wenige Wochen später Mutter und Kind in einigen innigen Skizzen fest. In einzelne dieser Mutterschaftsbilder mischt sich erstmals eine Mattheit der Züge, sodass hier im Rückblick der Auftakt zur Serie der Kranken- und Sterbebilder zu sehen ist.
Die vorliegende, fast lebensgrosse Darstellung, die der Zürcher Kunstsammler Werner Coninx spätestens 1975 aus Genfer Besitz erwarb, steht fast an letzter Stelle in diesem Zyklus. Datiert auf den 26. Januar 1915, ist sie eines von drei Ölbildern, die der Künstler am Tag nach dem Tod der Geliebten schuf. Anders als die durchwegs auf Kopf oder Oberkörper konzentrierten Porträts aus der Zeit von Krankheit und Agonie zeigt sie Valentine in ganzer Länge und damit auch aus etwas grösserer Distanz. Auffallend ist zudem die Wahl des Linksprofils, die das Bild mit der eng verwandten Fassung im Kunstmuseum Solothurn verbindet und einen ungewohnten Leseverlauf von rechts nach links und wieder zurück zum leicht erhöht gebetteten Haupt erzeugt. Der Mund steht offen, die Augäpfel sind tief in die Augenhöhlen abgesunken. Das einst rosige Inkarnat ist welkem Grün und Ocker gewichen, wie es sonst nur bei Hodlers zerfurchten Berglandschaften auftritt, und auch die Hände, um die ein Rosenkranz gelegt ist, sind in den gleichen Erosion und Zerfall evozierenden Tönen gemalt. Zarter sind die Farben der Stoffe und des sparsam angedeuteten Vorder- und Hintergrunds. Gänzlich unbemalt ist schliesslich der untere Teil der Bettstatt, sodass der ausgezehrte Körper noch leichter wirkt und in Vorwegnahme völliger Entmaterialisierung geradezu zu schweben scheint.
Astrid Näff