Öl auf Baumwolle, 150 x 200 cm
Das Auto, so konstatiert 1964 der amerikanische Medientheoretiker Marshall McLuhan, sei eine Erweiterung des Menschen, die soziale Abstände nivelliere, indem sie nur noch zwischen Fahrern und Fussgängern differenziere. Und: Am Steuer, gut geschützt durch die Karosserie, werde der Lenker zum Übermenschen. Dieses berauschende Gefühl, im eigenen Auto unterwegs zu sein, dieses Gefühl von gelebter Freiheit und sozialem Aufstieg, kommt in den 1960er-Jahren auch in der Schweiz in der Mitte der Gesellschaft an. Für die Motorisierung der Massen sorgen Käfer und Ente, für das rasche Vorankommen die autogerechte Stadt und der zügige Ausbau des Nationalstrassennetzes. Wer es noch schneller und auffälliger mag, dem steht eine wachsende Anzahl schnittiger Sportwagen zur Auswahl, und wer selbst nicht fährt, dem bleiben als Identifikationsfiguren die Helden des Motorsports.
Kaum überraschend nimmt daher das Kultobjekt Auto, das einst schon die Futuristen faszinierte, in den 1960er-Jahren auch in der Kunst seinen Platz ein. Speziell die Vertreter des Nouveau Réalisme und der Pop Art sind für das Sujet empfänglich, und auch einige junge Schweizer wie Marc Egger (1939–2014) oder Peter Stämpfli (*1937) wählen das Auto noch vor der Mitte des Jahrzehnts als ihr Hauptmotiv. Wenig später tut es ihnen der Aargauer Markus Müller (*1943) gleich.
Müller, der den Unterricht an der Kunstgewerbeschule Zürich als so uninspiriert erlebt, dass er 1966 in Urbino weiterstudiert, findet dort mit Schiffen und Motorrädern zu seinen frühesten eigenen Inhalten. Zurück in der Schweiz folgt 1967 das erste Bild eines Sportwagens und mit diesem zugleich der Wechsel zu einer neuen, betont flächigen, unmalerischen Malweise. Bald wird daraus eine motivische Reihe, die erst 1970 mit einigen Autointerieurs endet und zum einen Sportwagenmodelle umfasst, zum andern die Gruppe der hinsichtlich ihrer Bauweise freier gehandhabten, stärker synthetisierten Boliden. Zu ersteren zählt das Bild „Fulvia“, das Müller im Winter 1968/69 an die Jahresausstellung der Aargauer Künstlerinnen und Künstler einreicht und das bei dieser Gelegenheit auch angekauft wird. Auf Reifen, Kühler und Leuchten sowie auf Details wie Türfugen und -griffe oder auch auf das Steuer hat Müller vereinheitlichend verzichtet. Auch fehlt die Andeutung des zweiten Vorderrads. Trotzdem ist das Automodell – das elegante, vom designaffinen Lancia-Konzern am Turiner Autosalon von 1965 vorgestellte Fulvia Coupé – dank der unverwechselbaren Karosserieform auf Anhieb erkennbar. Die Darstellung zehrt also vom gleichen reduktionistischen Credo, das auch der Plakatwerbung zugrunde liegt: Vereinfachung zugunsten schneller Lesbarkeit.
Aufgebaut ist das Grossformat aus unvermittelt aneinanderstossenden monochromen Farbblöcken, und zwar in einer Präzision, die die manuelle Ausführung in Öltechnik kaum verrät. Erreicht hat Müller dies durch den wiederholten Auftrag verdünnter Farbe, wobei er zur Vermeidung von Graten infolge antrocknender Farbe pro Malschicht stets die komplette Bildfläche überarbeitet hat und dafür zeitweise auch auf die Hilfe von Kollegen gesetzt hat. Die Wirkung dieses Vorgehens ist stupend und trifft sich mit Müllers eigentlichem Interesse am Motiv: Nicht die Schnelligkeit, nicht die Eleganz, nicht der Kultwert des Autos und erst recht nicht Technik-, Umwelt- oder Konsumkritik, sondern allein die verführerische Glätte der Karosserieteile, ihre flächige Erscheinung, ihre Funktion als Hülle stehen im Zentrum seiner künstlerischen Praxis. McLuhans Statement, das Auto sei zum zwar schützenden, aber auch aggressiven Schild des Städters und Vorstädters geworden, verhallt hier ungehört. Umso reiner, umso glatter leuchtet der Lack dieses Vorzeigeobjekts.
Astrid Näff