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Karl Stauffer-Bern, Bildnis Karolina Welti-Gross, 1887
Oil on canvas, 85 x 66 cm, Gemälde
Aargauer Kunsthaus Aarau / Legat Dr. Welti-Kammerer

Karl Stauffer-Bern (1857–1891) wechselt im Laufe seiner Karriere mehrfach die künstlerischen Medien und ist als Maler, Radierer, Plastiker sowie Dichter tätig. Mit seinem Schaffen – sein Gesamtwerk entsteht zwischen 1875 und 1891 – leistet er einen entscheidenden Beitrag zum naturalistischen Realismus seiner Zeit. In der Sammlung des Aargauer Kunsthauses befinden sich gemalte sowie radierte Porträts – die Kunstgattung, die den Künstler 1881 in Berlin mit einem Schlag zu einem gefeierten Künstlergenie erhebt: Das anspruchsvolle “Porträt des Bildhauers Max Klein” begeistert Kritik und das Publikum gleichermassen. Stauffer gelingt die Schaffung eines neuen sachlichen Typus, mit dem er sich zahlreiche Aufträge der Berliner Gründergesellschaft sichert. Sind im wilhelminischen Zeitalter die neobarocken Standesporträts mit der Betonung äusserer Machtsymbole noch sehr gefragt, bevorzugt eine progressivere Elite die nüchterne Darstellung nach der Art Stauffers.

Stauffer befindet sich 1886 auf dem Höhepunkt seines malerischen Könnens und verschafft sich nach dem Erfolg der Porträts von Gottfried Keller und Lydia Welti-Escher weitere Aufträge. Im Herbst 1887 hält sich der Künstler in Bern auf und porträtiert Bundesrat Friedrich Emil Welti und seine Gattin Karolina Welti-Gross. Die beiden Gemälde befinden sich als Legat von Dr. Helene Welti-Kammerer in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses. “Bildnis Karolina Welti-Gross” zeigt Karolina Welti-Gross (1827–1911) als Halbfigur mit vor dem Schoss übereinandergelegten Händen. Sie ist schwarz gekleidet, nur an Hals- und Armausschnitten schauen weisse Spitzen hervor. Am Halskragen wird ihre ansonsten schlichte Kleidung von einer Kamee geschmückt. Ihr helles Gesicht – Stirn und Backen erscheinen leicht gerötet – grenzt sich stark von den vorherrschenden dunklen Tönen ab. Sie schaut aus dem Bild und fixiert die Betrachtenden mit einem melancholischen Blick.
Am vorliegenden Porträt lassen sich die Eigenheiten von Stauffers Bildniskunst aufzeigen. In gedämpfter Farbigkeit erfasst der Künstler die von ihm Porträtierten sitzend oder stehend in Interieurs und fokussiert auf das Gesicht als den Teil des Körpers, der eine Person psychisch fassbar macht. Bewusst verzichtet er auf aufwendige Kleidung, auf Mobiliar, Attribute oder Posen. Durch den neutralen Hintergrund erreicht er zudem eine starke Authentizität und einen hohen Grad an Natürlichkeit. Der Werkprozess eines neuen Porträts ist genauso komplex wie anspruchsvoll, will der Künstler seine Modelle doch formal, materiell und geistig erfassen. In unzähligen Sitzungen tastet sich Stauffer an eine Person heran und zieht zusätzlich das noch junge Medium der Fotografie heran – einerseits kann er dadurch seine Produktivität steigern, andererseits die Forderung nach Genauigkeit besser erfüllen. Die Porträts führen mit der von Stauffer angestrebten grösstmöglichen Ähnlichkeit und der perfekten malerischen Ausführung sein selbstformuliertes Ziel wunderbar vor Augen: “Künstlerische Produktion ist überzeugende, bildgewordene Naturanschauung und Empfindung.”

Karoliina Elmer

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