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Claudia Müller Julia Müller, Grotte mit Mann, 2008
Bleistift, Acryl und Collage auf Papier, 99 x 70 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau

Die Papierarbeiten „Ganz alter Olivenbaum“ und „Grotte mit Mann“ (2008) von Claudia & Julia Müller (*1964 / *1965) haben bereits im Jahr ihrer Entstehung den Weg in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses gefunden. Die beiden Blätter sind Teil einer Werkgruppe, an der die Künstlerinnen bis heute arbeiten und in der es um das Thema des Trug- oder Kippbildes geht. Die Zeichnungen thematisieren das visuelle Phänomen des Vexierbildes und den visuellen Wahrnehmungsprozess an sich. In der Mitte des Werkes „Ganz alter Olivenbaum“ ist ein knorriger Baum zu sehen, dessen Stamm ein Antlitz verbirgt. Die raue Struktur der Rinde und die Astlöcher verwandeln sich zu einem Gesicht mit Augen, Nase und Mund, das wilde Blätterwerk wird zur lockig-wuscheligen Haartracht.

Die Arbeit „Grotte mit Mann“ birgt in sich ein Spiel mit der Ausrichtung des Bildes: Erst wenn wir die hochformatige Zeichnung 90 Grad nach links drehen, wird die Titel gebende Szene erkennbar. Eine kleine Figur mit Hut steht mit dem Rücken zum Betrachter vor einer Höhle, deren dunkler Schlund Zentrum einer gewaltigen, felsigen Landschaft ist. Die Darstellung erinnert motivisch an vorromantische Bergszenerien etwa eines Caspar Wolfs (1735–1783), der die Kleinheit und Verletzlichkeit des Menschen angesichts der Natur in zahlreichen Gemälden schilderte.

Die Künstlerinnen haben die Bleistiftzeichnungen durch collagierte Elemente bereichert: Farbig bemalte Papierfragmente aber auch Ausschnitte von Fotografien wurden auf die Bilder appliziert. Neben abstrakten, eher grob zugeschnittenen Elementen, erkennen wir auf „Ganz alter Olivenbaum“ auch einen Ausschnitt aus einem Gemälde des Holländers Jan Vermeer (1632–1675). Wie die Künstlerinnen erklärten, stammt es aus einem Buch über versteckte Symbole in der altniederländischen Malerei, das ihnen für die eigene Arbeit eine wichtige Anregung war. Auch Claudia & Julia Müller beschäftigen sich mit dem symbolischen Gehalt von Motiven und kulturell geprägten, visuellen Codes.

Die beiden Papierarbeiten ziehen ihre Ausdruckskraft insbesondere aus dem Spiel formaler und inhaltlicher Gegensätze. Wie der Dialog zwischen grob und fein, bei dem schematische mit der Schere ausgeschnittene Farbflächen den mit grösster Sorgfalt ausgearbeiteten Naturschilderungen gegenübergestellt werden. Es spannt sich auch ein Kontrast zwischen gross und klein: der gigantische Kopf vor dem im Vergleich kleinen Bau oder die zwergenhafte Figur vor dem mächtigen Feld. Inhaltlich handelt es bei beiden Werken um eine Gegenüberstellung von Mensch und Natur; vom Individuum in seiner Vergänglichkeit gegenüber der Natur in ihrer zeitlosen Unverwüstbarkeit. Den Künstlerinnen gelingt es, dass sich diese Pole gegenseitig aufladen und so zu inhaltlichen und formalen Verdichtungen führen.
Die Basler Künstlerinnen Claudia & Julia Müller arbeiten seit 1992 zusammen. Die wichtigsten Einzelausstellungen des Schwesternpaars fanden bisher in der Kunsthalle Basel (1997), im Kunstmuseum Thun und Grazer Kunstverein (2004) und im Bonner Kunstverein (2008) statt. Ihr Hauptmedium ist die Zeichnung, wobei es die beiden Künstlerinnen verstehen, diesem traditionsreichen Format immer wieder neue Dimensionen zu verleihen. So sind sie in den Bereich der Collage vorgedrungen, haben Video-Zeichnungen entwickelt und grossformatige Wandzeichnungen geschaffen. Ein schönes Beispiel für letzteres findet sich etwa in der Kantonsschule Baden („Nach einem Gedankensblitz herrscht Dunkelheit im Hirn“, 2006), eine weitere Wandzeichnung entsteht zur Zeit im neuen Gebäude der Universität Luzern („Bubo, Bubo“, 2010). Das Werk von Claudia & Julia Müller ist in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses bereits repräsentativ vertreten. So besitzen wir seit kurzem eine frühe Arbeit aus einer Serie lebensgrosser Portraitzeichnungen („Anouschka“, 1996), sowie Werke aus der 1998 in New York entstandenen „Nordamerikanische Serie“ und zwei Videoinstallationen des Künstlerpaars (Überstrapaziert vor farbigem Hintergrund, 1997 und „Idylls II“, 2003). Die beiden neu angekauften aktuellen Zeichnungscollagen ergänzen die bisherigen Bestände aufs Schönste.

Madeleine Schuppli

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