Öl auf Sperrholz, 91 x 97.5 cm
Das Œuvre Karl Ballmers (1891–1958) – seine Hauptthemen sind Landschaften, einzelne menschliche Gestalten oder Figurengruppen und Porträts – steht eigenständig und autonom in der Schweizer Kunstlandschaft des 20. Jahrhunderts. Seitdem der Künstler 1960 in Zusammenarbeit mit dem damaligen Museumsdirektor Guido Fischer eine Ausstellung in Aarau organisier hat, gehört sein Werk zu den Schwerpunkten des Aargauer Kunsthauses. Zusätzlich beherbergt die Sammlung einen grossen, von der 1990 gegründeten Karl Ballmer-Stiftung betreuten Teil des künstlerischen Nachlasses. Obwohl das Aargauer Kunsthaus Ballmers Schaffen 1960 und 1991 grosse Retrospektiven widmet und 1991 die erste Monografie überhaupt publiziert, wird es in erster Linie von Kunstschaffenden bzw. Kennern geschätzt und bleibt einer grösseren Öffentlichkeit unbekannt.
Der in Aarau geborene Ballmer verlässt die Kantonsschule vorzeitig, um sich an der Kunstgewerbeschule Basel zum Zeichnungslehrer ausbilden zu lassen und wechselt 1910 an die Kunstakademie in München. Ab 1920 folgen philosophische Studien an den Universitäten München, Stuttgart und Berlin. Seine künstlerisch wichtigste Zeit erlebt Ballmer in Hamburg, wo er sich 1922 niederlässt und sich zunächst anthroposophisch engagiert – während des Ersten Weltkriegs entdeckt Ballmer die Anthroposophie Rudolf Steiners und arbeitet nach Kriegsende am Bau des Goetheanums in Dornach mit. Bei Ballmer wechseln sich Phasen der Schriftstellerei mit der ausschliesslichen Tätigkeit des Malens ab. Er trennt beide Bereiche strikt und wehrt sich gegen die Bezeichnungen „philosophischer Maler“ bzw. „malender Philosoph“. In den 1930er-Jahren folgt die Hinwendung zur Malerei: Ballmer wird als eigenständiger Vertreter der Hamburger Sezession akzeptiert, zu wichtigen Ausstellungen der neuen Kunst eingeladen, von der Kritik beachtet und massgeblich durch den Direktor des hamburgischen Museums für Kunst und Gewerbe Max Sauerlandt (1880–1934) gefördert. Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus wächst der Druck auf Ballmer, dem als entarteter Künstler ein Malverbot auferlegt wird und die Hamburger Sezession sowie die Anthroposophische Gesellschaft verboten werden. Vor allem aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Gattin beruft sich Ballmer auf seine schweizerische Herkunft, und das Paar verlässt Deutschland 1938. Zurück in der Schweiz wohnt er ab 1941 in Lamone im Tessin, wo der Künstler erst 1946 die Malerei wieder aufnimmt. Weder von der offiziellen Schweizer Kunst noch von der Avantgarde beachtet, entsteht Ballmers Spätwerk in der Einsamkeit seiner letzten Lebensjahre.
Im Gemälde „Komposition“ behandelt Ballmer die beiden Elemente Landschaft und Gruppenbildnis gleichwertig. Er präsentiert das Bild im Frühjahr 1931 an der 10. Ausstellung der Hamburgischen Sezession, zu der er als Gast geladen ist. „Komposition“ bildet das Hauptwerk einer zwischen 1926 bis 1930 entstandenen Gruppe von Arbeiten, gekennzeichnet durch einen undifferenziert dicht und pastos gemalten Grund ausweist, aus dem linear umrissene, flächig abstrahierte Figuren bzw. Formen entwachsen. Diese Phase leitet über zu den mehrfigurigen Werken der 1930er-Jahre.
In eine verwüstete, verödete Landschaft schreibt Ballmer versteinerte, anthropomorphe Wesen mit blicklosen Augen ohne jegliche Verbindung untereinander ein. Diese erinnern in ihrer archaischen Gestaltung an monolithische Figuren, mit denen sich Ballmer seit 1925 künstlerisch auseinandersetzt. Die Interpretation der fragmentarisch angedeuteten Stadt als Vorausahnung auf den Zustand nach 1944 wird von neueren Forschungsansätzen verworfen, da sich Ballmer zeitlebens stark gegen eine Vermischung von Malerei und äusserem Zeitgeschehen ausspricht.
Karoliina Elmer